Seit 1957 war ich in der ‚Île de France’ ansässig

(...) Seit 1957 war ich in der ‚Île de France’ ansässig, 16 Km vom Zentrum Paris entfernt, es war damals noch in dem alten Haus dicht am Ufer der Seine in La Frette.

Um den Landstrich ‚Île de France’ besser zu verstehen, muss ich erwähnen, dass es sich geologisch um ein riesiges, tiefliegendes Becken handelt, in dem das helle Kalkgestein vorherrscht, das auch zum Bau der Kathedralen Verwendung fand.

Seine Ausdehnung reicht vom nördlichen Rouen, den Felsabbrüchen von ‚Les Andely’, die in Poussins späten Bildern wie Erinnerungen immer auftauchen, bis zum südlichen Orléans und von Chartres bis Amiens. Das ist dieser Landstrich, der Paris umgürtet und in dessen Tiefbecken sich viel Feuchtigkeit sammelt, noch begünstigt durch die Nähe des Meeres. Dieser ständige leichte Dunst wird von der Sonne so durchleuchtet, dass er selbst ein mildes Licht aussendet. Hier ist die Quelle des irrealen und einmaligen Pariser Lichtes – dies waren meine Beobachtungen, die aber sicherlich nichts Neues sind.

Nun sollten Sie daran denken, dass ich mitten in diesem Lichtuniversum lebte, täglich die formverzerrenden Eigenschaften des Lichtes vor Augen hatte, zu sehen, wie alles durch das Licht aufgesogen wurde, die unendlichen Abstufungen der Farben, die sich in einem nicht mehr bestimmbaren Hell vollendeten.

Und nun: in meinen Zeichnungen aus dieser Zeit sind es die dunklen Stufungen, die in dem unbekannten Hell des Papiers Formgestalt anrufen sollen. Es ist quasi parallel zur Natur ein ins Abstrakte übertragenes Naturerlebnis. Durch die Ordnung von gewissen Grundelementen will ich auf meinem Blatt einen Erlebnisvorgang gestalten. Durch die Reduktion meiner gestalterischen Mittel erhalte ich die Einheit, die wir in einem Naturereignis empfinden, das sich jedoch in meinem Falle als ein Formereignis darstellt.

(...) Mehr und mehr hat mich die Entdeckung und die künstlerische Bedeutung des Lichtes, wie ich es im mittelmeerischen Raum erlebte, gefangen genommen. Wir zogen also, meine Frau und ich weiter nach Süden, um in Denia, zwischen Valencia und Alicante gelegen, einen <<Nagel>> einzuschlagen. Es war zwar ein <<schwimmender Nagel>> für über 16 Jahre, was aber die Arbeit betrifft, war es ein wirklicher. Dort, am Cabo San Antonio, erwarben wir ein 10m langes und schweres Boot, mit dem wir jährlich von Mai bis September zu den Balearen fuhren. In diesem Boot sind viele Zeichnungen, Aquarelle und kleine Bilder entstanden.(...)

Nun will ich beileibe keinen Reisebericht schreiben, doch zum besseren Verständnis ist einiges wichtig: Denn die Annäherung an eine Insel, nach 15 Stunden außer Land, in einem kleinen Boot, ist nicht dasselbe, wie wenn ein Musikdampfer von 250m Länge an einer Insel vorüberzieht. Die allmähliche Annäherung an diese rötlichen, senkrecht bis zu 300m Höhe aus dem Meer ragenden Felswände, ist ein großes optisches Ereignis – diese rhythmischen Faltungen, die im frühen Lichte zu glühen scheinen, das ist eine kosmische Verzauberung und der Poesie sehr nahe.(...)

1984 habe ich das Boot verkauft und meinen Fuß wieder auf festen Boden gesetzt. In Andalusien, am Nordhang der Sierra Nevada, in 1000m Höhe ist (wenn wir in Spanien sind) unser ständiger Platz. Die Sierra schließt hier an eine immense Hochebene an und hier fand ich das intensivste Licht in einer von innen leuchtenden Farbe. Die Landschaft als solche ist ganz reduziert auf essentielle Formen, Karst und viel Wüstenland und wenn Felder, dann sind sie von Brachland umschlossen wie Edelsteine. Touristen gibt es keine, hier will niemand bleiben. In diesen landschaftlichen Formationen finde ich karge Strukturen, die ich herauslöse, um auf meinem Blatt einen kleinen bildnerischen Organismus zu machen, mit dem Ziel, sein Formwesen zu bilden, das auch Träger des Ereignisses sein soll – in der äußersten Reduktion!“



(Otto Greis, aus einem Brief, 1997)