Alhamilla Serie

<h4>1987 - 1990</h4>

Sie wollen wissen, wie sich diese Form entwickelt hat. Sie kommt von diesem Thema, von dieser Landschaft in Andalusien. Durch Erosion von Sand und Gestein entsteht eine Wüstenformation mit diesen runden Gebilden. Aus dieser Rundform der Berge habe ich das Thema entwickelt. Wenn Sie so wollen, entstand diese Form aus einem geologischen Thema. Als ich in diese Serie einstieg, wurde mit der Zeit beim Arbeiten diese runde Form immer größer. Auf diese Weise entwickelt sich ein Bildthema. Das Bild kommt immer aus dem Bilde, d.h. es entwickelt sich immer aus den vorhergehenden Bildern. Es ist immer eine Folge. Ich dringe immer weiter ein, weil ich bestrebt bin immer noch größere Ausspannungen noch größere Harmonien zu erzeugen.“1 Erläutert Otto Greis 1996 und beschreibt damit, weshalb er sich 1987 formal neu orientiert und mit der kleinformatigen „Alhamilla“-Serie beginnt. Diese Werke bilden den Auftakt zu den groß angelegten Kompositionen, die Greis ab 1988/89 erarbeitet und die eine gänzlich andere Formensprache zeigen, als die schleierhaft gestuften Bildräume bis etwa zur Mitte der 80er Jahre. „Rideau d´Iris“ entsteht 1984 als letztes Bild dieser Schaffensphase in La Frette sur Seine; noch bis 1987 entwickelt der Künstler, bereits nach Ockenheim umgezogen, Bilder mit diesem Formvokabular weiter.

Seit 1985 zieht es Otto Greis in die Wüstenlandschaft der Sierra Nevada. In dem abgelegenen Dorf Alcudia de Guadix lebt und arbeitet er für jeweils drei Monate im Frühjahr und Herbst. Sehr klar werden nun die Formen auf der Leinwand gebildet. Eine künstlerische Schwierigkeit besteht darin, trotz ihrer Konkretion, sie nicht als abgeschlossenes Element herauszuarbeiten, sondern immer eine Offenheit und damit eine Verbindung zum Gesamtgeschehen zu gewährleisten. Die Idee einen in sich geschlossenen „Bildraumkörper“ zu gestalten, in dem alle Farben und Formen miteinander in Korrelation stehen, gilt nach wie vor als malerische Prämisse des Künstlers.

Sein intensives Erlebnis der Landschaft, „die sehr strukturiert und reduziert ist auf letztmögliche Äußerungen von Leben, die hier einen nicht auswechselbaren Platz erhalten2, wie Greis beschreibt, scheint sich in einer auf den ersten Blick vergleichbar spröden und weniger sinnlichen Bildsprache zu äußern. Die Reduktion der Formen, etwa auf die eingangs erwähnte Kreisform, oder die geradlinigen Farbbahnen, führt zu einer Deutung als „Urformen“ im platonischen Sinne.

Der Punkt als Element des Ausdrucks ist in gewissem Sinne identisch mit dem Kreis. Beide sind unstatisch und schwingen in sich, beide stehen am Anfang jeder Formbildung“, erläutert Willi Baumeister 1958 in seinem Buch „Das Unbekannte in der Kunst“.3 Die „Alhamilla“-Serie zeigt keine vollständigen Kreise und auf diese Weise wird umso mehr der Eindruck des Wachsens und sich Wandelns, des Entstehens und auch Vergehens geweckt. Paul Klees Absicht, nicht bloß „Form-Enden“ bildnerisch zu veranschaulichen, sondern zum „Urbildlichen“ vordringen zu wollen, ist für Otto Greis bereits seit Ende der 40er Jahre interessant und trägt zur Vertiefung dieser Werkbetrachtung bei.4 Im „Urgrund“ kann der Künstler, laut Klee, die Grundstrukturen, den „geheimen Schlüssel“ entdecken, aus dem sich die Natur in unendlichen Variationen entfaltet.5 Die Formengestaltung in der „Alhamilla“-Serie als auch in den darauffolgenden großformatigen Werken, führt in diesem Vorstellungskontext zu einer Deutung derselben als Grundformen, aus denen sich wiederum neue Formationen entwickeln können. Diese Interpretation lenkt auf einen Kernpunkt der Greis’schen Kunstauffassung: sein morphologisches Kunstverständnis, hin. In den kleinformatigen Bilderserien seines Oeuvres manifestieren sich diese Ideen besonders eindringlich. Greis fasst die „Formbildung“ im Kunstwerk „etwa analog dem Wachsen in der Natur6 auf, und in Anlehnung an Cézannes künstlerischem Bemühen um eine „Harmonie parallel zur Natur“, spricht er von einer „Kunstnatur parallel zur Natur“.7 Das Bild, verstanden als ein Organismus, „wächst“. Die Bildmittel: Farbe, Form, Raum und Licht setzt der Künstler entsprechend zusammenhangbildend, d.h. organisch, ein. Seit Otto Greis im Informel die Entdeckung gemacht hat, wie „fruchtbar“ sich der Zufall im bildnerischen Prozess auswirken kann, gewinnt die „genetische“ Formbildung in seinem Werk zunehmend an Bedeutung. In der spezifischen Ausarbeitung jedes einzelnen „Alhamilla“-Bildes, aber auch im seriellen Charakter dieser Werkreihe, lässt sich seine metamorphe Formauffassung - inspiriert sicherlich auch von Goethes Anspruch die Gestaltlehre auch als eine Verwandlungslehre zu begreifen - leicht nachvollziehen.

Die kleinformatigen, sich variierenden „Alhamilla“-Werke bilden das künstlerische Analogon zu dem Prinzip einer sich fortwährend wandelnden Natur.



1 Interview Otto Greis/Barbara Auer, 1996, Kat. Otto Greis, Kunstverein Ludwigshafen, 1996, S.14

2 Brief von Otto Greis an Lorenz Dittmann, 1992, Kat. Otto Greis, Galerie Katrin Rabus, Bremen, 1993, o.Pag.

3 Willi Baumeister, Das Unbekannte in der Kunst, 2.Aufl., Köln 1960, S.95

4 Paul Klee, Über die moderne Kunst, Bern-Bümplitz 1945, S.47

5ebd., S.47

6 Brief von Otto Greis, La Frette sur Seine, Dezember 1982, zit.n. Kat. Landesmuseum Mainz, Otto Greis, Retrospektive zum 75.Geburtstag, 1989, S.14

7ebda., S.14