Ende der 80er Jahre vollzieht sich im Werk von Otto Greis ein erneuerter künstlerischer Umschwung. Vorbereitet wird die überraschend andere Ausdrucksweise durch eine Vielzahl von Bildern, die der Künstler „Alhamilla-Serie“ nennt und an denen er seit 1987 arbeitet. Mit „Polópos“, 1988/89, und „Spuren des Sommers“,1989, zeigt sich im großen Format eine Gestaltungsweise, die deutlich akzentuierte Formen herausbildet und sich damit von den, wie verschliffen wirkenden Bildräumen seiner vorherigen Schaffensphase absetzt. In der Einfachheit der Kompositionen liegt ihre Klarheit begründet. Was sich in dem Bild „Rideau d’Iris“ von 1984 bereits schemenhaft als vertikale Farbverläufe bestimmen lässt, wird nun vom Künstler zu parallelen Farbbahnen gebündelt, die diagonal das Bildgeschehen dynamisieren. Kreisformen, die in späteren Werken zu einer einzigen großen Rundform kulminieren, stehen zu den Geraden in einem eindrucksvollen Spannungsverhältnis. Otto Greis fordert in seinem Spätwerk diesen Antagonismus bewusst heraus, um ihn sogleich zu harmonisieren. Dieser Ausgleich gelingt, indem der Künstler die Formen öffnet und fließende Übergänge schafft. Mittels subtiler Farbmodulationen wird die Gefahr eines starren Konstrukts vermieden. Der eingangs gewählte Begriff der Einfachheit - im positiven Sinne verstanden - darf in zweierlei Beziehung für die Betrachtung des Spätwerks herangezogen werden. Einmal erweckt die großzügig angelegte Komposition diesen Eindruck. Des weiteren sind die parallelen Farbbahnen als das „wiederkehrende Gleiche“1 für den Betrachter leicht zu überschauen. Gemeinsam mit den raumgreifenden Kreisschwüngen gliedern sie die Bildfläche rhythmisch. Otto Greis gestaltet ganz aus der Farbe heraus und keine Linie unterbricht ihre spezifische Wandelbarkeit, aus der sich Formen und Bildräumlichkeiten erschließen. Auf diese Weise gelingt ihm die „Darstellung des Allerverschiedensten als etwas, was trotzdem eines ist“2, wie „Einfachheit“ im kunsthistorischen Sinn von Kurt Badt definiert wird. Philosophische Bezugspunkte lassen sich bei Heraklit finden. Etwa:„dass Gegensätze immer wieder ineinander umschlagen“3. Diese Naturbeobachtungen zur Umwandlung von Gegensätzen, verstanden als ewiger Kreislauf, münden für Heraklit in der These „alles ist eins“4. Im Spätwerk von Otto Greis manifestiert sich beispielhaft eine Weltsicht, die mit philosophischen Ideen dieser Art korrespondiert. Auf gestalterische Aspekte übertragen, formuliert Greis 1995: „Das ganze Bild besteht aus Gegensätzen: Farbe, Form, Licht. Es geht um den Vorgang der Verwandlung der einzelnen Elemente. Dadurch ist der Künstler gezwungen nach Gestaltungsmöglichkeiten zu suchen; z.B. Farbe in Licht zu verwandeln.“5
Im Hinblick auf eine innerbildliche Geschlossenheit spürt Greis dem Prinzip der Verwandlung nach, das er als eine allgemeine Gesetzmäßigkeit des Lebens begreift.
Helligkeit beherrscht das Bildgeschehen. Otto Greis, der auch als Maler des Lichts bezeichnet wird, entscheidet sich in dieser Werkreihe, die etwa bis 1995 andauert, für das Weiß als farblose Lichthelligkeit. Es bildet den harmonisierenden Grundton, auf den sich alle Farben beziehen. „Das Weiß entlässt aus sich das Relief der Buntfarben. Unmöglich deren Nuancen zu beschreiben“6, charakterisiert Lorenz Dittmann 1993 die Farbgestaltung von Bildern, wie z.B. „Spuren des Sommers“, 1989, „Windkamm“, 1990, oder „Fest der Winde“, 1992. Auch auf farblicher Ebene entsteht auf diese Weise ein Eindruck von Einfachheit. „Denn im Grunde gibt es keine Farbe ohne Bewegung zur nächsten, und diese Eigenschaft benutzt man, wenn man im Bilde durch farbige Verbindung Einfachheit erstrebt“7, erläutert Kurt Badt. Die subtilen Farbmodulationen tragen nicht nur zu dieser Wirkung bei, sondern bilden die Grundlage für die farbige und formale Einheit im Bild. Hier liegt der Schlüssel zum Verständnis von Greis’ Bildwelten. Es geht ihm nicht um eine Einfachheit, gleichbedeutend mit leichter Lesbarkeit, sondern im Sinne einer Synthese, in der die Bildmittel Farbe, Form, Raum und Licht aufgehen. Otto Greis: „Es ist das Zusammenführen von drei Grundkomponenten: die Farbe, die Form und das Licht, wobei es sich dabei um drei Extreme handelt! Die Farbe benötigt die Fläche, um sich zu entfalten, die Form das Licht, um in Erscheinung treten zu können. Es kann immer einmal etwas überwiegen, mehr die Form, das Licht oder die Farbe, das ist gegeben. Aber sich diesem Spannungsverhältnis anzunähern, damit dieses überhaupt entsteht, das ist ein ganz schönes Unterfangen.“8
Eine Harmonisierung, ein Ausgleich, der quasi die Gegensätzlichkeiten in Balance zu halten vermag, entspricht seinem künstlerischen Ziel einer autonomen Bildkomposition. Was als ein „egozentrisches Unterfangen“9 beginnt, nämlich die ganz persönliche Auseinandersetzung des Künstlers mit der Leinwand, führt so, handwerklich betrachtet, zu einem innerbildlichen Bezugsystem der Bildmittel und damit zu einer Geschlossenheit. Für Otto Greis beruht somit die Ausdruckskraft der Arbeit wesentlich auf einer gelungenen Ablösung von der Künstlerpersönlichkeit. In seiner Malerei zielt er auf eine geistige Dimension, die einen Bezug zum Betrachter herzustellen vermag, der über die sinnliche Wahrnehmung hinausgeht. Der Künstler verdeutlicht: „Für mich vollzieht sich das Bild auf einer imaginären Ebene. Die Leinwand ist Material. Es geht ja nicht darum, Farbe auf die Leinwand zu setzen, sondern es geht darum, die Leinwand ‚abzuschütteln’. Das Bild muß als Erscheinung aufsteigen, vollkommen befreit von dieser Materie. Das ist die hohe Kunst der Malerei.“10
Greis’ Bilder bleiben ikonographischen Deutungen gegenüber verschlossen. Auch das Wissen um seine Aufenthalte in der Sierra Nevada seit 1985, können allenfalls eine Vorstellung davon vermitteln, welche Natureindrücke ihn in seinen Bildgestaltungen angeregt haben mögen. In einem Brief von 1992 spricht Otto Greis dieses Thema an: „ Es sind jetzt sieben Jahre, dass ich jährlich für einige Monate in die Wüstenlandschaft nach Südspanien gehe. Eine Landschaft, die sehr strukturiert und reduziert ist auf letztmögliche Äußerungen von Leben, die hier einen nicht auswechselbaren Platz erhalten. Kargheit umschlossen von Licht, eingehüllt in Glanz. Die Bilder dieser Jahre sind von solchen Eindrücken geprägt.“11
In rhythmisch-schwingender Harmonie figurieren die Bilder eine Wirklichkeit, die in ihrer Hermetik frei von gesellschaftlichen oder politischen Bezügen ist. In dieser Hinsicht können sie auch als Gegenbilder zur ruhelosen Gegenwart aufgefasst werden.
1 Kurt Badt, Einfachheit in der Malerei, in: Ders., Kunsttheoretische Versuche, hrsg. von Lorenz Dittmann, Köln 1968, S.19
2 a.a.O., S.12
3 Wilhelm Weischedel, Die Philosophische Hintertreppe, München 1994, S.27
4 ebd., S.27
5 unveröfftl. Gespräch Otto Greis/Ulla Siegert, 27.2.1995
6 Lorenz Dittmann, Die neuen Bilder von Otto Greis: Licht – Farbe – Rhythmus, in: Kat. Galerie Katrin Rabus, 1993, o.Pag.
7 Kurt Badt, Einfachheit in der Malerei, a.a.O., S.12
8 Gespräch Otto Greis/Barbara Auer, Kat. Otto Greis, Kunstverein Ludwigshafen am Rhein e.V., 1996, S.13
9 a.a.O., S.15
10 a.a.O., S.12
11 Lorenz Dittmann, Die neuen Bilder von Otto Greis, a.a.O., o.Pag.