Naturerlebnis

<h4>1945 - 1951</h4>

Und so sind es immer Begegnungen, wenn ich die ‚Natur’ anschaue, wir ‚sehen’ nur, was in uns schon vorbereitet ist. Die Imago ist die letztmögliche und endgültige Erscheinungsform eines Bildes, sie ist eine geistige Konstante, die mit dem Leben des Malers festverknüpft und seine eigentliche Aussage ist“ 1, erläutert Otto Greis 1995 zur Natur als Inspirationsquelle seiner Malerei und verweist dabei auch auf die Grenze ihrer Einflussnahme.

In den 50er Jahren löst sich Greis zunehmend vom Kunstbetrieb in Deutschland und siedelt 1957 endgültig nach Frankreich über. Neben dem gedanklichen Austausch mit anderen Künstlern, etwa in der Gruppe „ligne 4“ in Paris, wird für Greis’ Arbeit seine tiefe Zuneigung zur Natur maßgebend. Direkt am Ufer der Seine, in La Frette, arbeitet und lebt der Künstler in einem alten Haus, bis er 1970 ein neues Atelierhaus mit weitem Blick über den Fluss bezieht. 1958 entstehen die letzten Materiebilder; dann, 1959, setzt Greis ganz neu an.

Das helle Licht der ihn umgebenden Landschaft wirkt in seine Bildwelten hinein. Nicht abbildhaft, sondern in seinem wandlungsfähigen Wesen erfasst und als Bildelement umgesetzt. Otto Greis hat seine damalige optische Erlebniswelt mehrfach beschrieben - 1996 in einem Interview mit Barbara Auer besonders anschaulich: „ Als ich ab 1957 in Paris wohnte, kam das Erlebnis dieser unerhörten Farbwelt hinzu. Von meinem Haus in La Frette sur Seine hatte ich einen wunderbaren Blick auf die Seine. Dazu muß man wissen, dass die Lage von Paris eine ganz merkwürdige Sache ist. Paris liegt in einem tiefen Becken, mit einem Durchmesser von ca. 150 Kilometer, die sog. Île de France. Auch das Meer ist nicht weit von Paris entfernt. Der Dunst vom Meer kommt bis in die Stadt und liegt in diesem Becken. Dazu kommt dann die hinter diesem Dunst liegende Sonne. Das ist praktisch wie eine immens große leuchtende Wolke. Diese indirekte Beleuchtung strahlt nun alles an; so kann man zum Beispiel dieses Phänomen am Wasser beobachten, wo das Licht wieder hoch unter die Bäume strahlt. Ein Baum wird von unten und oben beleuchtet, und man weiß im Grunde gar nicht mehr was das ist. Ein Kubus von einem Baum wird dadurch ganz unwirklich, geradezu feenhaft. Dieses Phänomen habe ich von meinem kleinen Boot in La Frette aus unendlich oft beobachtet. Täglich schaute ich auf das Wasser, erlebte diese ungeheure Feinheit der Farbstufungen, und ich verstand zum ersten Mal den Impressionismus. Was das für eine Leistung war, diese ungeheuere Sensibilität in der Malerei. Das hat mich sehr berührt und nachhaltig die Qualität meiner Malerei vorangetrieben.“2

Die hellen, außerordentlich fein nuancierten Bilder zu Beginn der 60er Jahre bezeugen die Empfänglichkeit des Künstlers für Licht- und Farbsensationen. Die Farbmodulationen zur Helligkeit und auch zur Dunkelheit hin, den Bildern auf diese Weise Höhen- und Tiefenimpulse gebend, entspricht der künstlerischen Prämisse, ein „haptisches Empfinden“ in ein „optisches Phänomen“ umzusetzen.3

Otto Greis entwickelt fragile, wie in einem Schwebezustand befindliche Lichträume. Neben dem Licht in der Landschaft, ist ein Erlebnis in der gotischen Kathedrale von Soisson von entscheidender Bedeutung für sein Werk. Hier erlebt er 1958, zum ersten Mal bewusst, wie die Lichtführung untrennbar mit der Architektur verbunden ist. Entsprechend konstruktiv soll fortan auch das Licht als Bildelement in seinen Kompositionen wirken. Greis’ künstlerische Absicht zielt darauf, dass weder Farbe, noch Licht, Form, oder Raum voneinander zu trennen sind. Der Künstler erläutert: „Zum Beispiel ist es mir nicht möglich die Form zu reduzieren, die ich nötig habe um meine Imago von Licht zu realisieren, denn das Licht wird darin Formteil wie die Form, da die Form wiederum das Licht einfängt – auch die Farbe wird zu einem Element in einem autonomen Bildkörper.4

Die angestrebte bildnerische Dichte ist besonders an den Gemälden der 70er und 80er Jahre erfahrbar. Sie lassen sich als Lichtmetamorphosen interpretieren. Charakteristisch ist ihre Formensprache, deren gestalterischer Prozess nicht abgeschlossen zu sein scheint. Dieser Bildeindruck wird durch einen Schicht für Schicht lasierenden Farbauftrag zusätzlich unterstützt. Greis’ erarbeitet Formen im „Werden“ oder „Vergehen“, nicht klar umrissen und sich jeder genaueren Definition entziehend. Die „genetische Form 5 ist Topos seiner Bildwelten und der künstlerischen Wahrnehmung verpflichtet, die Natur in ihren vielfältigen Erscheinungen niemals als eine statische Gegebenheit aufzufassen.

1977 erklärt der Künstler: „Was mich vor allem an einem Bild interessiert, sind die Passagen der Pläne – Fugen des Anrufes möchte ich sie nennen – sie ermöglichen mir eine genetische Formbildung analog zur Natur, gleichsam ein Nacherschaffen der treibenden Kräfte hinter den Erscheinungen, eine ‚übergeordnete Natur’ parallel zu ihr. Genetische Formbildung, Urphänomene in der Natur, im Goethischen Sinne. Formen trachten danach sich zu verwirklichen, ihr Wirken zu entfalten – durch den Nachvollzug ihres Entstehens werden sie uns erst bewusst.6

Greis’ Vorstellung nach, können die Bildelemente Farbe, Form, Raum und Licht zusammenhangbildend, d.h. organisch verwendet werden. Für den Künstler ist die „genetische Formbildung“ im Kunstwerk vergleichbar mit dem natürlichen Tier- und Pflanzenwachstum, deren Entwicklung eigenen Gesetzmäßigkeiten gehorcht. In dieser Hinsicht setzt Greis eine malerische Tradition fort, die mit Cézannes Absicht eine „Harmonie parallel zur Natur“7 gestalten zu wollen, beginnt und in unterschiedlichen Facetten u.a. von Wassily Kandinsky, Paul Klee und Willi Baumeister fortgesetzt wird. Greis’ Blick auf die „treibenden Kräfte“8 in der Natur resultiert aus seiner Beschäftigung in den 40er Jahren mit dem Werk Paul Klees. Von Goethes Naturbeobachtungen beeinflusst, betrachtet Klee die Pflanzenwelt in ihren Erscheinungen lediglich als „Formenden“9, deren Gestalt in fortwährender Um- und Weiterbildung begriffen, zurück oder auch in die Zukunft gedacht werden kann. Auch für Otto Greis’ Auseinandersetzung mit der Natur sind Goethes Schriften, insbesondere zur Metamorphose der Pflanzen und der Idee einer sog. Urpflanze, inspirierend. Entsprechend äußert er sich: „Der kleinste Teil muss das Ganze enthalten. Aber wenn man aus einem Teil wieder ein neues Bild macht, so genügt es nicht, diesen einfach auszudehnen. Es muss eine ganz neue Organisation entstehen, die mit neuen Keimzellen erfüllt ist.“10

Otto Greis deutet den Zufall im künstlerischen Schaffensprozess als eine „fruchtbare Störung11. Er kann dem Bild einen neuen Impuls geben. 1995 resümiert Greis: „Formveränderungen kommen aus der Arbeit, ‚das Bild kommt aus dem Bild’. Das ‚Bild’ geht aus dem Bilde hervor, geleitet von dem Trieb nach einem größtmöglichen Zusammenfallen von Formwesen und Aussage, dass sich die Gegensätze zu einer Harmonie verbinden.“12

Seit 1959 ist diese Bildauffassung für die Malerei von Otto Greis charakteristisch. Der Künstler findet Formmodule, aus denen er wieder ein neues Werk entwickelt und die Beschreibung, dass das Bild aus dem Bilde sozusagenerwächst“ mutet treffend an. Otto Greis’ Arbeitsweise korrespondiert mit seinem Naturerlebnis- und verständnis die äußeren Gegebenheiten als fortwährenden, dynamischen Prozess, als natura naturans aufzufassen.





1 Brief von Otto Greis an U. Siegert, Alcudia de Guadix, 1.11.1995, zit. n. Ulla Siegert, Otto Greis. Farbe – Form – Licht, Werkverzeichnis 1945 – 1995, Hamburg 1999 (Diss.), S.175, Anm.6

2 Interview O.Greis/B. Auer, 1996, Kat. Otto Greis, Kunstverein Ludwigshafen am Rhein e.V. 1996, S.11

3 Brief von Otto Greis an Karlheinz Gabler, 1960, zit. n. Kat. Otto Greis. Retrospektive zum 75. Geburtstag, Landesmuseum Mainz 1989, S.8

4 Brief von Otto Greis an René Drouin, La Frette sur Seine, 1974, ebd. S.13

5 Otto Greis, La Frette sur Seine, Nov. 1977, zit. n. Ulla Siegert, Otto Greis. Bildwirklichkeit und Poesie (Über Malerei Bd.4), Aachen 2002, S.58

6 ebd., S.58

7 Joachim Gasquet, Cézanne (Gespräche), Paris 1921, zit. n. Walter Hess, Dokumente zum Verständnis der modernen Malerei, Reinbeck 1956, S.19

8 Paul Klee, Über die Moderne Kunst, Bern-Bümplitz 1945, zit. n. Walter Hess, a.a.O., S.84

9 ebd., S.84

10 Undatierte Äußerung, zit. n. Ulla Siegert, Otto Greis, a.a.O., S.58

11 Brief von Otto Greis an Arnulf Herbst, 26.5.1984, zit. n. Kat. Otto Greis, Retrospektive zum 75. Geburtstag, a.a.O., S.17

12 Brief von Otto Greis an Ulla Siegert, Alcudia de Guadix, 1.11.1995, zit.n. Ulla Siegert, Otto Greis, a.a.O., S.59

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Otto Greis. Die Feier des Lichts

Werner Haftmann


Einige Jahre waren ins Land gegangen, ehe ich im Dezember Otto Greis und seine Bilder wiedersah. Ich hatte keine Sorge vor dieser Begegnung. Seitdem ich diesen jetzt 64jährigen Maler vor mehr als 25 Jahren, damals noch in seinem heimatlichen Frankfurter Umkreis, kennengelernt hatte, konnte ich auf seine Beharrlichkeit in der Lösung seiner bildnerischen Fragestellungen vertrauen. Sie bewahrte immer etwas von der behutsamen, methodischen Folgerichtigkeit des Ingenieurs, als der er begann, auch dann, wenn sich das Ziel solch überlegsamer Klarlegung der Ausdrucksmittel und ihrer Anordnung schließlich als reinster Lyrismus auswies.

Dennoch war ich neugierig. Aus zwei Gründen: - einmal wollte ich sehen, was aus einer Malerei geworden war, die zu Beginn der fünfziger Jahre mit der ersten, breiten Welle des internationalen Informel einsetzte und dann in einem langsamen Vorgang formaler Zügelung die ursprünglich spontane Ausdrucksgestik in ein festeres Ordnungsgefüge einzubringen suchte; - zum anderen interessierte mich die Wirksamkeit eines bestimmten visuellen Erlebniskreises, den sich Greis – vorhersehbar oder nicht – ausgesucht hatte. 1957 nämlich war er nach Frankreich übergesiedelt, nachdem er seit 1951/52 immer wieder nach Paris gereist war. Aber er blieb nicht in der Stadt. Als ich ihn einige Zeit nach seiner Umsiedlung wiedersah, hatte er ein kleines, sehr poetisches Haus bezogen, unmittelbar an der Uferstraße von La Frette, 16 km nordwestlich von Paris an der Seine gelegen. Vor den Fenstern des kleinen Malraumes unter dem Dach schlang sich die riesige Schleife des Flusses, der auf der gegenüberliegenden Seite eine Art Halbinsel angespült hatte, die ein dichter Baumbestand rahmte. Die ganze Landschaft war erfüllt von diesem großen Wurf des Flusstales und seine Atmosphäre aus silberndem Licht. Greis hatte sich ein kleines Motorboot zusammengespart; vergnüglich fuhren wir durch ganze Vorhänge von Licht vor der straffen Kulisse des waldigen Ufers, bis die abendlichen Nebelschimmer das schöne Schauspiel im sanften Grau ersterben ließen.

Immer noch wohnte Greis am gleichen Flusshang von La Frette, jetzt im neuen Atelierhaus und auch ein wenig höher am Hang mit weitem Blick auf die Sensationen der großen Stromschleife. Auch das kleine Boot ist durch ein stattlicheres ersetzt, und der Jagdgrund für visuelle Abendteuer ist nicht mehr allein die Seine, sondern vor allem das gleißend-große Meer vor der Ostküste Spaniens und um die Inselwelt der Balearen. Seit Jahren hält er sich dort den ganzen langen, mediterranen Sommer hindurch auf seinem Malboot auf. Er weiß schön davon zu erzählen – mit dem geheimen Stolz des Ingenieurs auf Navigationsgeräte, Motoren und Segel und mit der Ergriffenheit des Malers, der in dieser großen Natur oftmals Entsprechungen zu seinen formalen Unternehmungen (- die ihm freilich nur den Seitenblick auf diese Natur erlauben -) als Bestätigung erkennt.

Um die Sache mit La Frette recht zu begreifen, muß man etwas von dessen kunstgeschichtlicher Ortung wissen. Es war nämlich im gleichen Seinebogen zwischen Argenteuil und La Frette, wo die Impressionisten einiges von der entmaterialisierten, a-perspektivischen – sagen wir - >>halluzinatorischen<< Bedeutung des Naturlichts erfuhren: die Wandlung nämlich vom Beleuchtungslicht zum Bedeutungslicht, die dem natürlichen Licht nicht alleine eine gewisse darstellerische Selbständigkeit zuerkannte sondern es auch bereits als Konstruktionselement innerhalb der formalen Bildorganisation zu verstehen begann. Hier nämlich trieb Claude Monet auf seinem Hausboot herum und entdeckte die vergleichsweise >>phantasmagorische<< Qualität, die das Naturlicht auch haben konnte. Hier fand Renoir in seinen Bildern von der >>Grenouillère<<, einem beliebten Ausflugslokal der Seine-Ruderer, eine eigentümliche, durch die Fülle der Lichtreflexe verursachte Verschränkung der Pläne, die die perspektivische Abfolge von Vordergrund – Mittelgrund – Hintergrund verstörte und einem mehr a-perspektivischen, vom Farblicht bewegten Flächenraum nahe legte. In La Frette selbst hatte Marquet Jahre seines Lebens verbracht und aus dessen Stimmung die ruhige, im lichten Grau gebrochene Flächigkeit seiner nach-fauvistischen Bilder abgehoben. Man kann sagen, dass durch diese bestimmten Momente optischer Erfahrungen der Impressionismus sich auf Cézanne zuzubewegen begann. Nur richtete sich Cézannes Aufmerksamkeit verstärkt auf die selbständige Organisation des Bildleibes, die die Hinweise der Natur als Bauelement eines in sich abgeschlossenen formalen Organismus nutzte, zum Aufbau eines kristallinen Gitters, aus dem der in der Natur verborgene harmonikale Hintergrund als Antwort des menschlichen Geistes auf die Sensationen der Natur zurück reflektierte – jene von Cézanne gesuchte >>Harmonie parallel zur Natur<<.

Werfen wir jetzt einen Blick auf die Bilder aus dem Greis´schen Atelier von La Frette, so werden wir sogleich die Nähe zu den Veranstaltungen des Lichts über dem Silberband des bewegten Stromes bemerken, so wie auch eine nachklingende Affinität zu den Lichtapotheosen der genannten Meister, insbesondere zum späten Monet. Zugleich, aber auch eine kristallinische Organisation der Formen, ein welliges, die Oberfläche buchtendes und immer wieder zur Fläche zurückkehrendes Vor und Zurück der Massen und Pläne, eine aus der farbigen Fläche entstehende, vom Naturlicht unabhängige, selbständige Führung des Lichts, die wiederum die Erinnerung an Cézanne auslöst.

Schon um 1960, bald nach dem Einzug ins Haus von La Frette, konnte man diese Verfestigung bemerken, wobei besonders das Licht seinen huschenden, unbestimmten Charakter verlor und sich zu transparenten Strukturen zusammenschloß, deren Leitform das Strahlenbündel wurde. Das lag auf der Linie jenes >>Festmachens der Atmosphäre<<, von der die Futuristen und Delaunay gern gesprochen hatten und die Cézanne schon vorgezeigt hatte. Das Licht verlor seinen naturalistischen Auftrag als Beleuchtung. Es wurde zum reinen Bildinnenlicht und damit zu einem selbständigen Element der Konstruktion, des Dekors und des Ausdrucks. Um seinen Transparenzen das unbestimmte Atmosphärische zu nehmen, das die Ölfarbe mit ihren Lasuren gerne nahe legt, erfand sich Greis ein eigenes Malmittel aus Kunstharz und Kasein, das der Oberfläche einen gewissen Fresko-Charakter gab, der sie zwar fest, trocken und mauerartig machte, aber die Transparenz nicht verhinderte. Die Farbe, die für den Maler das vorwiegende Äquivalent des Lichts ist, hielt sich in der Vorliebe für Grau, Grün, Blau gern auf der kühlen Skala. Dieser Farbklang schien der Farbstimmung über der Seine-Schleife zu entsprechen. Er veränderte sich gegen 1970. Jetzt bewegte er sich mehr auf der warmen Skala: lichter Ocker, Rotviolett, ein golden einbrechendes Gelb. Man möchte meinen, dass ein mediterraner Klang in die neueren Bilder geraten sei. Da läge es nahe, an die jährlich sich wiederholenden, monatelangen Segeltörns des Malers im spanischen Meer zu erinnern, deren Sensationen ins Bild hineinschienen. Gindertael, der französische Kritiker, hat sein schönes Vorwort zu einer Greis-Ausstellung von 1974 in der Pariser Galerie Roque mit dem Titel überschrieben >>Entre le ciel et l´eau ... la lumière<< und in diesem Text seine Gedanken bei der Betrachtung der Bilder gut und knapp zusammengefasst: aus dem Erlebnis von Himmel und See die antwortende Apotheose des Lichts.

Doch hier ist zugleich ein Vorbehalt anzumelden. Tatsächlich geht Greis nie von einem bestimmten landschaftlichen oder marinen Motiv aus. Er hat niemals auch nur den Versuch gemacht, irgendeine dieser aufleuchtenden Schönheiten der mediterranen Welt bildhaft zu reproduzieren. Auch die bewegten, scheinbar atmosphärischen Erscheinungen in seinen Bildern gehen nie auf ein einzelnes, bestimmtes optisches Erlebnis zurück. Vergleicht man seine Bilder mit denen Turners, der nun wirklich aus Himmel und See das Drama des Lichts entfaltet, so gewahrt man sehr deutlich, dass Greis mit einer gewissen Sprödigkeit alle dramatisch expressiven Elemente zurückdrängt. Sein Element ist das Lyrische, das sich in diesem sanften Versmaß bewegt – ja, sich in diesem Versmaß erst entwickelt. Sein Bild entsteht im Machen. Es hält auch immer eine genaue Verbindung zum Bild, das vorher entstanden war. Es ist als abgeschlossenes Gebilde da, bewahrt aber den Prozeß seines Entstehens und zeigt das künstlerische Kontinuum, in dem es seine Wurzeln hat. Das alte Wissen, dass Kunst aus Kunst – und weniger aus >>Natur<< - entsteht, teilt auch Greis. Er gehört keineswegs in die Linie von Bazaine oder Le Moal – obwohl er sich ei seinen Pariser Aufenthalten mit ihnen bekannt machte -, die das Bild als ins Abstrakte gespiegelte Analogie zum Naturerleben ansahen. Er sieht es vielmehr als ein Ergebnis eines Impulses von innen von großer Spontaneität, der seinen Ursprung eher in der Reihe der vorangegangenen Bilder findet als in einer vorerlebten Sensation. Natürlich kann ein Maler, dessen ganzes Sensorium auf das Schauen ausgerichtet ist, nicht absehen von dem, was das Auge täglich in ihn einträgt. Nur in dieser Weise sind die vermuteten Angleichungen an jenen >>visuellen Erlebniskreis<< zu verstehen: als ein ins Unbewusste abgesunkenes Bildgut, als ein die Regungen im Menschen durchtränkendes Fluidum, das auf der Leiter des bildnerischen Versmaßes – sozusagen unvermutet – mit nach oben steigt und sich in die Bildfläche einschiebt. Die Entstehung des Bildes, sein auslösender Impuls, hat also durchaus etwas mit dem Automatismus zu tun, doch wird dieser gesteuert durch das Versmaß der geordneten Form, das sich von Bild zu Bild entwickelt. Um diesen komplizierten Vorgang anschaulich zu machen, ist es notwendig, die Entwicklung dieses Malers zu betrachten.

Greis, der nach dem Kriege sich ausschließlich der Malerei widmen konnte, fand in E.W. Nay, der sich nach dem Krieg, damals 45 Jahre alt, in Hofheim im Taunus niedergelassen hatte, einen wichtigen Freund. Diese Begegnung war eine gute Lehrzeit für Greis. Erst als Nay – 1949 – angeregt durch die Malerei von Juan Gris, den Bildraum in harte Flächigkeit verspannte und die Form härtete, entzog sich Greis seiner Gefolgschaft.

Fortab malte Greis für sich. Es war die Zeit seines entscheidenden Umbruchs, auf dessen Ergebnissen seine ganze Malerei aufbauen sollte. Die ersten Ergebnisse waren in der Einzelausstellung im Mai 1952 in der Frankfurter Zimmergalerie zu sehen und dann noch im Dezember 1952 in einer Sammelausstellung von vier jüngeren Malereien: Götz, Kreutz, Schultze. Ursprünglich wollten sie sich >>Neu-Expressionisten<< nennen; erst während der Ausstellung stellte sich der Name >>Quadriga<< ein. Die Bezeichnung >>Neu-Expressionisten<< traf ungefähr den Sachverhalt, sofern man annehmen wollte, dass dieses >>Neu<< darauf hinweisen sollte, dass sich diese Maler auf dem Felde des Abstrakten bewegten. Tatsächlich waren ihre Bilder von einem starken expressiven Pathos erfüllt. Auch die von Greis zeigten diese Spontaneität im Malakt, jene psychische Selbstentäußerung durch eine enthemmte aggressive Gestik, in der dunkle Bogenschwünge auf wabernden Gründen unbestimmte Figurationen entstehen ließen, deren Bedeutung sich zwar punktuell nicht ausmachen ließ, die dennoch eine starke suggestive Kraft hatte im Sinne von Psychogrammen eines tief beunruhigten Gemütszustandes. Nachträglich gesehen, bemerkte man freilich, dass die Lichtphänomene bei Greis eine größere Rolle spielten, als bei anderen Malern der Gruppe, dass Sternfelder, aufglühende novae, spritzende Lichtfontänen die Ausdrucksfunktion des graphischen Strich- und Balkenwerkes überspielten. Auch die Farbe war leuchtender und blühender und fügte der dramatischen Geste ein lyrisches Element hinzu. Die Bilder trugen Titel, wie >>Herz der Steinblume<<, >>Hexe<<, oder – ein wenig später - >>Ikarus<<. Sie trugen wenig zur Sache bei; sie waren nur Wortmetaphern, wie sie auch Nay verwandte, der gern ganz abstrakte Kompositionen mit mythologischen Namen schmückte. Aufzeichnungen aus der psychischen Schicht suchten sie mit gestischen Spuren, dick gemauerter Farbmaterie und spritzendem Flechtwerk der Farbe eher jenen Ahnungen nachzusinnen, die uns beim Betrachten schrundiger Mauern, glimmender Asche oder auch beim Blick auf Wolken oder ins Sternenzelt überkommen und die durch >>Künstlichkeit<< der Herstellung in dieser oder jener Richtung bildhaft kanalisiert werden können. Diese Assoziationen setzen uns auf die Spur, woher der Anstoß kam. Er kam aus Paris und hatte internationale Breite. Dort hatte sich in den Jahren zwischen 1945 und 1950, neben allerlei Richtungen des Spätkubismus und eines abstrahierenden Naturlyrismus, eine vergleichbare Malweise durchgesetzt mit Dubuffet, Fautrier, Michaux und Wols, die René Drouin in seiner prächtigen Galerie am Place Vendôme schon gleich nach dem Krieg gezeigt hatte. Die Galerie Allendy fügte bald Hans Hartung und Georg Mathieu hinzu. Die Stilbezeichnung, die die begleitende Kritik aufbrachte, hießen: >>Art informel<<, >>Abstraction lyrique<< oder noch allgemeiner >>Art autre oder gar >>Tachisme<<. In den USA hatte sich gleichzeitig – mit Pollock, Tobey, Motherwell u.a. – eine ähnliche Erscheinung gezeigt. Mathieu hatte die Verbindung hergestellt und in der von ihm betreuten Ausstellung >>Vehemences cofrontées<< die Ähnlichkeit der beiden Bewegungen anschaulich gemacht. So gerieten jetzt auch die Stilbezeichnungen der amerikanischen Kritiker - >>Abstract Expressionism<< oder >>Action Painting<< - ins europäische Spiel. Es ist hier nicht der Ort über ihre Berechtigung zu streiten. Nimmt man alle zusammen, so ergeben sie in

wechselseitiger Erhellung ein gewisses Bild dieser neuen Richtung. An ihr fand auch Greis, der bei seinen ersten Reisen nach Paris auch René Drouin, den frühesten Pariser Promoter der ganzen Richtung, kennengelernt hatte, seinen Anstoß. Als Drouin im Frühjahr 1955 im Pariser >>Cercle Volney<< die sehr beachtete Ausstellung >>Nichtfigurative Malerei in Deutschland<< einrichtete, war selbstverständlich auch Greis vertreten, wie er auch in den Ausstellungen der Kunsthallen in Wiesbaden und Mannheim 1957, die der >>informellen<< Richtung galten, seinen Platz hatte.

Doch hatten wir schon bemerkt, wie sich in diesem allgemeinen Stilbild bestimmte Besonderheiten der Greis´schen Auffassung durchsetzten. Sie verstärkten sich zunehmend und führten ihn bald aus diesem Gruppenstil hinaus. Machte ihn dieser allmähliche Rückzug aus der Kameraderie seiner deutschen Malerfreunde auch einsamer (und ließ ihn die Ausstellungspolitik der Maler und Kritiker ihn dies auch merken), so entsprach diese Absetzbewegung doch seiner persönlichen Haltung, die eher zurückhaltend, selbstbezogen, introvertiert ist. Sie half ihm auf den eigenen Weg.

Schon 1954 setzt eine Serie von schmalformatigen Malereien auf Japanpapier, die die dickhäutige Materie durch einen durchsichtigen, lichthaltigen, kostbaren Farbgrund ersetzte, auf dem ein improvisierender heller Strich Figurationen entwarf, die wie helle Sternenbilder eines erfundenen Zodiakus aussahen. Sie leiteten über zu einem Bilderkreis, der 1956 begann und den Greis – aus welchen Gründen auch immer – die >>Tuareg-Serie<< nannte. Es sind festgefügte, meist dunkelgründige Ensembles von massigen Formen, die den dämmernden Grund in einer strafferen Planordnung bestimmen und durch Strahlenbündel bewegen. Manchmal – wie im >>Orakel<< von 1956 – scheint aus dem magisch durchleuchtenden Grund eine exotische Formenwelt hervorzusehen, die den merkwürdigen Titel der Serie begründen könnte. Greis ist noch heute ein eifriger Besucher des >>Musée de l´homme<<, der aufregendsten Völkerkundlichen Sammlung der Welt; von daher mag ihm die Inspiration zu manchem dieser Bilder gekommen sein.

1958, Greis war inzwischen endgültig nach Paris übergesiedelt, beginnt wieder eine Art Zwischenspiel – diesmal ist es eine lange Reihe von Aquarellen auf Japanpapier. Sie sind ganz gelöst und lassen die dumpfen Evokationen der Materie endgültig hinter sich. Auf lichtem Grund in duftiger, dünnbesetzter Farbe entfaltet sich über dem rhythmischen Takt von Kreisformen ein tänzerisches Spiel, das die Gestik der malenden Hand in die Metrik des Formensatzes leicht und selbstverständlich hineinnimmt. Auch die inhaltliche Stimmung zeigt diese Gelöstheit. Die Blätter lassen an Fruchtzweige denken, an die glücklichen Metamorphosen des fruchtbringenden Sommers. Hier ansetzend, beginnt um 1960 – und schon im kleinen Haus am Uferrand von La Frette – jene erste Reihe von Bildern, die wir eingangs zu beschreiben versuchten und die einen entschlossenen Schritt aus dem geistig zu eng gewordenen Umkreis des >>Informel<< bedeuten. Die Bilder werden ganz licht. Ihr weißer Grund gibt das Spielfeld, auf dem dünnflüssige, gedämpfte Farbpassagen im leichten Atmen der Fläche dem Auge Wege einrichten, die durch das empfindliche Gleichgewicht der Farbwerte einem fließenden rhythmischen Muster folgen. Manchmal verstärken Punktkonstellationen den rhythmischen Satz; manchmal sinkt dieser ganz ins Weiß zurück und wird nur im atmenden Auf und Ab der Fläche anwesend. Die Titel - >>Schleier des Pan<<, >>Mirage<<, >>Des Ailes<<, >>Naissance Nacrée<< - bezeichnen metaphorisch recht gut den inhaltlichen Stimmungsrausch dieser Bilder.

Unmittelbar aus dieser Reihe, hervorgehoben in kleinen Entwicklungsschritten, entsteht dann 1962 >>La Clairière<<, >>Die Lichtung<<. Hier wird der Formsatz kräftiger und auch die ondulierende, schmiegsam-schwingende Fläche bindet sich in eine festere Planordnung ein. Jetzt taucht die Erinnerung an Cézanne kräftig auf. Sie bezieht sich nicht auf irgendetwas Punktuelles, sie bezieht sich auf den Kern der Anschauung Cézannes, dass zur Veranschaulichung einer im menschlichen Erlebniskreis empfundenen Harmonie ein strenger metrischer Satz, ein bildnerisches Versmaß notwendig sei. Hatte aber Cézanne aus seiner geschichtlichen Lage in unmittelbarer Auseinandersetzung mit dem gegenständlichen >>Motiv<< den harmonikalen Hintergrund der Natur herauszuzeichnen versucht, so verschiebt sich – 60 Jahre später – für den Jüngeren das motivische Problem ins Abstrakte. Es heißt jetzt : für das harmonikale Erlebnis des Lichts selbst – und nicht für seine Brechungen an den Gegenständen – anschauliche, bildnerische Entsprechungen zu finden. Das formale Problem ändert sich deshalb nicht, es bezog sich immer noch auf die Ausarbeitung einer Metrik, auf deren rhythmischen Stufen der Wahrheitsfindung von der Anwesenheit des Harmonikalen als Bild Anschaulichkeit gewinnen konnte.

So sehen wir, wie Greis in den folgenden Jahren – und bis heute hin – diese Metrik verstärkt und modifiziert, wie er anfänglich die weiche Modulation der Fläche durch kubische Prismenformen kräftig gliedert, dann die Prismen zu kristallinen Massen zusammentreten lässt, schließlich die Figurationen wieder auf die Fläche zusammenzieht und endlich ein räumliches, die Fläche durchatmendes Fluidum erreicht, in dem Farb- und Lichtbahnen die Körperlichkeit der Kristalle ersetzen. Jetzt ist das Bild selbst Kristall, von dessen Grund das Erlebnis des Lichts als harmonikaler Erscheinung verwandelt zurückleuchtet. Das Ziel ist – für die stets wechselnden Veranstaltungen des Helios, die die abertausenden Schauspiele des Wechsels vom Morgen zum Abend hervorrufen, für all die Erhellungen des Lichts eine dichterische Erhellung – das bildnerische Gleichnis – zu finden.

Kehren wir zu unserem Ausgangspunkt zurück, so sollte jetzt deutlich sein, dass sich diese ganze Entwicklung nahezu ausschließlich auf der bildnerischen und formalen Ebene vollzog in der schrittweisen Ausbildung einer bildnerischen Vorstellung, die sich dann im bildnerischen Tun eine Metrik erfand und zurechtlegte. Wenn dennoch benennbare optische Erlebnisse an der Natur in diese metrischen selbständigen Gebilde einzufließen schienen, so mag sich dies aus der innigen Durchdringung der menschlichen Vorstellungskraft mit den Tatsachen der Natur erklären, die, einmal aufgerufen, auch die abgesunkenen Erinnerungen ins Anschauliche hebt. Doch Ausgang oder Ziel waren diese nicht; sie kehrten auch ganz verwandelt wieder zurück.

Greis ist keiner von jenen stürmischen Geistern, die ihren Überschwang in alle Winde werfen und in der Geschichte dionysische Spuren hinterlassen. Er ist ein bedachtsam arbeitender Mann, der das ihm zugewiesene Thema beharrlich zu erfüllen trachtet ohne Blick auf zeitgenössische Präsenz, auf Ruhm und Genie. Sein Thema heißt: Die Hemmungslosigkeit des Lichts in Form fassen und durch bildnerische Metrik seine Strahlkraft so zu verlängern, dass sie bis in unsere psychische Schicht herüberreicht, damit dann auch die beunruhigende, riesige Atemlosigkeit des Himmels in uns rhythmischen Atem gewinnt. Der schöne Titel Gindertaels >>Entre le ciel et l´eau … la lumière<< kann sehr wohl als Motto über diesen Bildern stehen bleiben. Warum sollten wir uns nicht frei fühlen, in diesen Bildern den optischen und dichterischen Erlebnissen des seefahrenden Malers nachzuspüren? – Auch wenn es nur darum ginge, durch die schweigsame Hermetik dieser Bilder hindurch eine nähere Vertraulichkeit zu ihnen zu gewinnen.




Zitiert nach: Ausstellungskatalog: Otto Greis – Die Feier des Lichts, Kunsthalle Bremen/Staatliche Kunstsammlungen Kassel 1978, o. Pag.

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Pourquoi Paris?

Pourquoi Paris?“ (Der französische Kunstkritiker Roger van Gindertael stellt diese Frage vielen ausländischen, in Paris lebenden Künstlern)


Diese Frage wurde mir mehrfach gestellt, und ich stellte sie mir schon selbst.

In meinem Land wäre meine Arbeit einer voreiligen Fixierung auf eine bestimmte Richtung hin nicht entgangen, und das hätte nur ein Hindernis für die freie Entfaltung der Malerei bedeutet. Ich musste neu und anderswo beginnen.

Die Malerei ‚in ihrem eigentlichen Sinne’ beschäftigt mich, ich meine die Erzeugung des farbigen, von innen leuchtenden, poetischen Kunstraumes, aus den der Malerei immanenten Mitteln heraus.

Mit Poussin verlagerte sich die Tradition der Malerei von Italien nach Frankreich, seitdem schließen sich hier die Werke der Vergangenheit und der Gegenwart zu einer Kette zusammen, jeweilige Gegenwart erweckte Vergangenes zu neuem Leben, und Paris blieb das lebendigste Zentrum der Malerei. Ich sehe auch heute hier eine Reihe von Malern, die sich der Tradition der Malerei anschließen, und indem sie sie verwandeln, wird sie wieder mit neuem, für die Gegenwart gültigem Gehalt gefüllt.

Diese Fülle der Werke richtet sich auf dem Weg jedes Malers wie eine Mauer auf und verlangt ihm eine Entscheidung ab: Er hat die Möglichkeit, die Tradition zu ignorieren oder sich ihr auszusetzen, das heißt, sich mit ihr aus-einanderzusetzen. Für diese Auseinandersetzung bietet Paris das Feld.

Die wegversperrende Mauer der schon existierenden Werke treibt mich zu einer Auflehnung, in der ich über das, was die Malerei bisher geleistet hat, hinaus denken muß, das heißt also auch ihre Grenzen erkennen, um den Möglichkeiten der Malerei vielleicht noch eine neue hinzufügen zu können.

Angesichts der bedrängenden Fülle von Malerei muß ich alle Kräfte entfalten, um mein eigenes Werk vielleicht zu etwas Besonderem zu treiben. In dem Zustand des Sich-selbst-Überlassenseins trifft mich der Ruf der großen Beispiele, und dieser wird mir wie zu einem Leitstern auf meinem weiteren Weg.

Paris verlangt vom Maler die Hellsichtigkeit zu sehen, wo er selbst und die anderen stehen, und in diesem Sinne gibt Paris die Voraussetzungen, eine Malerei ‚in ihrem eigentlichen Sinn’ entstehen zu lassen.“


(Otto Greis, La Frette sur Seine, 11.Oktober 1961)


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Quadriga

<h4>1952</h4>

Am 11. Dezember 1952 wird in der Zimmergalerie Franck in Frankfurt eine Ausstellung eröffnet, deren Bedeutung für die Entwicklung der deutschen Nachkriegskunst außerordentlich ist. Unter dem Begriff „Neuexpressionisten“ stellen die vier Maler: Otto Greis, Karl-Otto Götz, Bernard Schultze und Heinz Kreutz jeweils drei Bilder aus, die beim Publikum Interesse, Erstaunen und vielfach auch Ablehnung hervorrufen. Insbesondere die weit vorangetriebene Formauflösung ihrer Werke ist für die Betrachter überraschend. Ursula Geiger hat 1987 über die Ausstellung ihre Voraussetzungen und Auswirkungen eine umfangreiche Dokumentation vorgelegt.1 Sie beschreibt: „Angekündigt war die Ausstellung unter dem Etikett Neuexpressionisten. Keiner der Teilnehmer weiß heute mehr, warum dieser Titel gewählt wurde, vermutlich um einen Zusammenhang mit dem Abstrakten Expressionismus der Amerikaner herzustellen. Weitere Gründe mögen darin zu suchen sein, dass der Expressionismus der letzte deutsche Stil war, der über die Grenzen hinweg Beachtung gefunden hatte, und weiterhin, dass die Malerei der COBRA, die in mancher Beziehung als Vorbild und vor allem als Anregung diente, expressive Züge trägt. Alle Beteiligten sind sich jedoch darüber einig, dass die Betonung auf dem Wortteil neu liegen musste.“2

Die Leinwände dienen als Plattform der künstlerischen Leidenschaften und als Experimentierfeld der malerischen Möglichkeiten. In diesem Sinne lenkt der Begriff des Expressionismus berechtigterweise auf die subjektive Ausdruckskraft der Bildwelten, die sich vom Gegenstandsbezug befreit haben. Otto Greis zeigt die Werke: „Paar“,„Die Hexe“ und „Blauer Aufbruch“ aus dem Jahr 1952. Seinen Bildern ist eine sprühende und pulsierende Farbigkeit eigen, die zu emphatischen Beschreibungen anregte. Godo Remszhardt, Kritiker der Frankfurter Rundschau, spricht von „ farbigem Gewölk explosiven Blütenstaubes, das symphonisch über weite Himmel dahinweht und kreisend wie Gestirne leuchtet.3 Greis baut seine Bilder aus Flecken, sog. „taches“ auf, oder schüttet auch flüssige Farbmaterie auf die am Boden liegende Leinwand und Bernard Schultze erinnert sich: „Das schönste Bild von ihm >>Die Hexe<< ... das hat er mit dem Schwanz eines Pferdes gemalt.“4

Für Otto Greis, der sich auf der Suche nach künstlerischer Authentizität von seinem bisherigen Schaffen distanziert, steht zunächst das Experiment im Vordergrund. Dennoch bleibt seine Auseinandersetzung mit der Fläche bestehen. Die drei Gemälde der „Quadriga“-Ausstellung verdeutlichen sein Ringen um Bildräumlichkeiten, die mittels ihrer farbigen Wirkkräfte vor- oder zurückdrängen, immer miteinander vernetzt sind und so ein festes Gewebe bilden. Um zu diesen dichten Kompositionen zu gelangen, die bildimmanenten Gesetzen folgen und in einem Stadium der Ausgewogenheit als abgeschlossen gelten, ist die unumschränkte Aufmerksamkeit des Künstlers gefordert. Greis lehnt daher, im Gegensatz etwa zu K.O. Götz, eine Ausschaltung des Bewusstseins während des Malaktes ab. Er sieht den Vorgang der Bildfindung recht nüchtern und resümiert 1954: „Ich halte es meinerseits für notwendig, sich der reinen optischen Wahrnehmung zu überlassen und betrachte meine Bilder ohne Rücksicht, ohne Erinnerung und ohne Reflexionen – mit nüchternem, durchdringendem Blick – vielleicht vergleichbar dem eines Wissenschaftlers am Forschungsinstrument. Die wie Mauerwerk alter Ruinen zerschundene Malfläche hat nichts mit der Abgeschiedenheit jenes Romantischen gemein – sie ist unromantisch.

Die zerfaserten und zersplitterten Bildtteile – vorerst überraschend in ihrer Kuriosität – sind gebildet durch die Gewalten von Zerstörungsprozessen auf der Bildfläche, die in ständigen Überschneidungen sich vollziehen. So finde ich neue Aspekte, die dann vielleicht im Bilde zu Realitäten werden können und auf der extremen Seite von Ratio und bekannter Ordnung liegen – bei Irratio und Wagnis – und in einem gelungenen Werk unsere Sicht erweitern werden.“5

Die Bezeichnung „Quadriga“, die sich für die vier Frankfurter Maler sehr bald durchsetzt, leitet sich aus dem gleichnamigen Poem her, das der Dichter René Hind am Eröffnungsabend geschrieben hat und darin die vier Künstler als hervorstürmendes Vierergespann beschreibt. Er lässt seinen Assoziationen freien Lauf und Greis’ glühende Farbwelten, sowie seine Bildtitel verführen Hinds zu einer dichterischen Freiheit, die allerdings wenig mit der künstlerischen Absicht zu tun hat. Als „ schwindelgefeit, manchmal grauengejagt, dennoch selbstbehauptet, sattelfest auf seinem schwarzbraunen Rappen“ wird Otto Greis vom Dichter charakterisiert6.

Ursula Geiger urteilt:„Auch wenn man nicht von einer Gruppenbildung im eigentlichen Sinne sprechen kann, so war die Quadriga doch mehr als nur eine Interessengemeinschaft. Erst durch die vereinigte Kraft ihrer >>konzertierten Aktion<< konnten die vier Maler die Aufmerksamkeit einer breiteren Öffentlichkeit erregen, der neuen informellen Kunst in Deutschland zum Durchbruch verhelfen und damit den Anschluss an das internationale Niveau gewinnen.7


1 Ursula Geiger, Die Maler der Quadriga – Otto Greis, K.O. Götz, Bernard Schultze, Heinz Kreutz – und ihre Stellung im Informel, (Diss.), Nürnberg, 1987

2 ebd., S.146

3 Godo Remszhardt, Quadriga malerischer Avantgarde/Vier „Neuexpressionisten“ in der Zimmergalerie, FR, 30.12.1952

4 Gabriele Lueg, Studien zur Malerei des deutschen Informel, Interview mit Bernard Schultze, 6.4.1978, (Diss.), o.O. 1983, S.321

5 Otto Greis, 1.7.1954, zit.n. Kat. Otto Greis. Retrospektive zum 75. Geburtstag, Landesmuseum Mainz, 1989, S.7

6 Réne Hind, Quadriga-Poem, zit.n. Christa v. Helmholt, Feier des Lichts, FAZ, 28.9.1993

7 Ursula Geiger, a.a.O., S.149

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Seit 1957 war ich in der ‚Île de France’ ansässig

(...) Seit 1957 war ich in der ‚Île de France’ ansässig, 16 Km vom Zentrum Paris entfernt, es war damals noch in dem alten Haus dicht am Ufer der Seine in La Frette.

Um den Landstrich ‚Île de France’ besser zu verstehen, muss ich erwähnen, dass es sich geologisch um ein riesiges, tiefliegendes Becken handelt, in dem das helle Kalkgestein vorherrscht, das auch zum Bau der Kathedralen Verwendung fand.

Seine Ausdehnung reicht vom nördlichen Rouen, den Felsabbrüchen von ‚Les Andely’, die in Poussins späten Bildern wie Erinnerungen immer auftauchen, bis zum südlichen Orléans und von Chartres bis Amiens. Das ist dieser Landstrich, der Paris umgürtet und in dessen Tiefbecken sich viel Feuchtigkeit sammelt, noch begünstigt durch die Nähe des Meeres. Dieser ständige leichte Dunst wird von der Sonne so durchleuchtet, dass er selbst ein mildes Licht aussendet. Hier ist die Quelle des irrealen und einmaligen Pariser Lichtes – dies waren meine Beobachtungen, die aber sicherlich nichts Neues sind.

Nun sollten Sie daran denken, dass ich mitten in diesem Lichtuniversum lebte, täglich die formverzerrenden Eigenschaften des Lichtes vor Augen hatte, zu sehen, wie alles durch das Licht aufgesogen wurde, die unendlichen Abstufungen der Farben, die sich in einem nicht mehr bestimmbaren Hell vollendeten.

Und nun: in meinen Zeichnungen aus dieser Zeit sind es die dunklen Stufungen, die in dem unbekannten Hell des Papiers Formgestalt anrufen sollen. Es ist quasi parallel zur Natur ein ins Abstrakte übertragenes Naturerlebnis. Durch die Ordnung von gewissen Grundelementen will ich auf meinem Blatt einen Erlebnisvorgang gestalten. Durch die Reduktion meiner gestalterischen Mittel erhalte ich die Einheit, die wir in einem Naturereignis empfinden, das sich jedoch in meinem Falle als ein Formereignis darstellt.

(...) Mehr und mehr hat mich die Entdeckung und die künstlerische Bedeutung des Lichtes, wie ich es im mittelmeerischen Raum erlebte, gefangen genommen. Wir zogen also, meine Frau und ich weiter nach Süden, um in Denia, zwischen Valencia und Alicante gelegen, einen <<Nagel>> einzuschlagen. Es war zwar ein <<schwimmender Nagel>> für über 16 Jahre, was aber die Arbeit betrifft, war es ein wirklicher. Dort, am Cabo San Antonio, erwarben wir ein 10m langes und schweres Boot, mit dem wir jährlich von Mai bis September zu den Balearen fuhren. In diesem Boot sind viele Zeichnungen, Aquarelle und kleine Bilder entstanden.(...)

Nun will ich beileibe keinen Reisebericht schreiben, doch zum besseren Verständnis ist einiges wichtig: Denn die Annäherung an eine Insel, nach 15 Stunden außer Land, in einem kleinen Boot, ist nicht dasselbe, wie wenn ein Musikdampfer von 250m Länge an einer Insel vorüberzieht. Die allmähliche Annäherung an diese rötlichen, senkrecht bis zu 300m Höhe aus dem Meer ragenden Felswände, ist ein großes optisches Ereignis – diese rhythmischen Faltungen, die im frühen Lichte zu glühen scheinen, das ist eine kosmische Verzauberung und der Poesie sehr nahe.(...)

1984 habe ich das Boot verkauft und meinen Fuß wieder auf festen Boden gesetzt. In Andalusien, am Nordhang der Sierra Nevada, in 1000m Höhe ist (wenn wir in Spanien sind) unser ständiger Platz. Die Sierra schließt hier an eine immense Hochebene an und hier fand ich das intensivste Licht in einer von innen leuchtenden Farbe. Die Landschaft als solche ist ganz reduziert auf essentielle Formen, Karst und viel Wüstenland und wenn Felder, dann sind sie von Brachland umschlossen wie Edelsteine. Touristen gibt es keine, hier will niemand bleiben. In diesen landschaftlichen Formationen finde ich karge Strukturen, die ich herauslöse, um auf meinem Blatt einen kleinen bildnerischen Organismus zu machen, mit dem Ziel, sein Formwesen zu bilden, das auch Träger des Ereignisses sein soll – in der äußersten Reduktion!“



(Otto Greis, aus einem Brief, 1997)

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Stilperioden

Sylphiden Serie

<h4>1995 - 1997</h4>

Ab 1995/96 entstehen kleinformatige Bilder, die Otto Greis als „Sylphiden-Serie“ bezeichnet. Die Form der Serie ist in seinem Werk nicht ungewöhnlich. Von Zeit zu Zeit nutzt der Künstler die dichte Bilderfolge zur Klärung spezieller Formprobleme oder entwickelt mit ihr eine neue Bildidee. Greis’ gesamtes Oeuvre seit etwa 1959 durchzieht die allgemeine Idee der Metamorphose, erkennbar an einer Bildgestaltung, in der sich oftmals eine Arbeit aus der anderen zu entwickeln scheint. Der Begriff: „Sylphiden“ lässt sich mit „Luftgeister“ übersetzen und macht einmal mehr die Neigung des Künstlers zu poetisch gestimmten Bildtiteln deutlich. Otto Greis benennt seine Werke im Nachhinein und erspürt dabei eine ihnen eigene charakteristische Qualität.

Mit einem Pinselschwung, der 1995 kreisförmig anmutet und damit im Kontrast zu diagonal verlaufenden Bewegungsstrukturen steht – kompositorisch vergleichbar mit den großformatigen Leinwänden seines Spätwerks - beginnt diese mehr als 20 Arbeiten umfassende Serie. Die Farbigkeit ist zunächst auf Variationen von Grün und Grau reduziert. Die Bewegtheit der Bilder erscheint fließend, aber auch unruhig pulsierend. 1995 gestaltet der Künstler in den kleinen Formaten bis zu vier Kreisbewegungen, die dann, im Jahr darauf, zunehmend mit dem Bildraum verwoben werden. Die Formen scheinen sich in den Bildgrund hinein zu ziehen, während die Farbigkeit sich zu einem hellen Leuchten entfaltet.


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Tuareg Serie

Am stärksten verändert hat sich Otto Greis. Er hat die farbigen Flecken und sprühenden Nebel zugunsten einer düster versponnenen Malerei verlassen. Viele seiner Bilder, in denen graue und weiße Linien ein System auf fast schwarzem Grund verknoten und umspannen, erinnern an anatomische Gebilde, an Muskeln und Sehnen geheimnisvoller Organismen, an Phantome, in denen Angst und Grauen zu Hause sind. Verquälte Verflechtungen werden da geschaffen, aus denen das Bedrohliche spricht. Greis sucht neue Lösungen.“1 Konstatiert die Kunstkritikerin Doris Schmidt 1956 anlässlich einer Ausstellung der vier Quadriga-Maler im Frankfurter Kunstverein.

Gut zehn Jahre später, 1967, erklärt Otto Greis weshalb er sich von der tachistischen Malweise abwendete: „ 1955 und 1956 folgte eine Serie von dunklen Bildern mit hellen Strukturen, die ich die Tuareg-Serie nannte. Diese Bilder sind kaum gezeigt worden, aber sie waren in meiner Arbeit wichtig; es waren für mich Schritte aus dem Informel heraus zu einer Form zu finden.“2

Aus der absichtslosen Gestik, die schwungvoll viele seiner informellen Gouachen der Jahre 1953 bis 1955 beherrscht, entwickeln sich nun beinahe gestalthafte Formen. Anfang der 50er Jahre stellt es sich für Otto Greis als eine Notwendigkeit dar, sich radikal von künstlerischen Vorbildern zu lösen und einen eigenen malerischen Weg zu suchen. Die so gewonnene Freiheit verbindet sich für ihn jedoch bald mit dem Risiko, dass sich die experimentelle und teilweise automatische Malweise selbst genügt und die vormals befreiende Gestik, in ihrer Repetition, zum dekorativen Element verflacht.

Otto Greis sucht nach einem authentischen Bildausdruck. 1955 setzt er wieder an, wo er begonnen hatte, als er gemeinsam mit E.W. Nay die Werke der Klassischen Moderne in ihrer Gestaltung analysierte. Das Bild, verstanden als „Bildraumkörper“ und das Wirken der Formen und Farben in ihren Beziehungen, bestimmen wieder den Dialog zwischen Künstler und Leinwand. Erklärtes Ziel ist es, Bilder zu gestalten, die aufgrund ihrer Aussagekraft über die Gegenwart hinaus Gültigkeit besitzen. Greis formuliert für sich diesen Anspruch, als sich das Informel in Deutschland zunehmend durchsetzt. Albert Schulze Vellinghausen wird 1959, anläßlich der Dokumenta II, von einer „Weltsprache“ des Informel sprechen, aber auch kritisch fragen: „Was mag von uns Heutigen bleiben? (...) Was bleibt, ist nur auf der Oberfläche eines höchst vergänglichen Vordergrundes Sache des ‚Auskämpfens’. Es hängt von freiwilliger Bindung ab: wieweit wir die Freiheit richtig verstehen. Der Künstler hat Anspruch auf alle Freiheit (...). Man kann sie ihm nicht - leutselig generös – ‚gewähren’; er ist schlechthin zu ihr verdammt. Aber er muß damit umgehen können. (...) Der Alptraum hat sich gleichsam nach innen verlagert; als unablässige Forderung an den Künstler, dem Chaos andringender (und täglich von neuem entdeckter) Formlosigkeit eine neue, geprägte Form zu entreißen.3

Als Otto Greis auf der Dokumenta II seine tachistischen Werke: „Agonie“, 1952, und „Ikarus“, 1953, zeigt, ist er geistig dem Informel längst entwachsen. Er hat aus dieser Arbeitsphase die positive Erkenntnis gezogen, dass ihm die malerische Freiheit neue Ansatzpunkte zur Gestaltung, verstanden als „Beziehung der Form zum Bildraum4, bietet.

Die „Tuareg“-Serie stellt eine Station auf seiner Suche nach einer „bedeutsamen Form“ dar.

Die Palette des Künstlers ist auf wenige Farben reduziert: Weiß, Rot und Schwarz bestimmen den Bildeindruck. Der spontane Pinselzug, der sich expressiv in alle Richtungen ausbreitet, sich stellenweise auch zu Kreisformen verdichten kann, entspricht noch der freien Dynamik des Informel. Ebenso die experimentelle Verwendung der unterschiedlichen Malmittel, die in ihrer Konsistenz mal ölig, wässrig, oder puderartig trocken benutzt werden. Die Farb- und Formgestaltung der „Tuareg“-Bilder ist zusätzlich inspiriert von Greis’ Interesse am Fetischkult der Naturvölker. Die oftmals aus Knochen, Haaren, Zähnen u.ä. zusammengeschnürten „heiligen Bündel“ besitzen im Volksglauben eine besondere Macht. Die Vehemenz des Pinselstrichs und die blutrote Farbe lässt in den Bildern des Künstlers einen vergleichbaren Ausdruck von magischer Kraft und unheimlicher Macht wirksam werden. Otto Greis erklärt 1957: „Darf ich zur Unterstreichung noch hinzufügen, dass mir das Musée de l´Homme hier das liebste Museum ist, aus dem einfachen Grunde, weil diese Dinge (ob prähistorische Plastik oder Bildwerke der Naturvölker) einen starken Bezug zum Menschen hatten und ihn noch ausstrahlen, wenn auch ihre kultische Bedeutung für uns nicht mehr lesbar ist.“5

Greis ist, vermutlich von Ausstellungsstücken im Musée de l´Homme angeregt, 1956 auf die Idee gekommen, die Bilder aus diesen zwei Jahren zusammenfassend als „Tuareg“-Serie zu bezeichnen.

Nachts entwickelt er seine „Bildvisionen“. Rückblickend beschreibt Greis 1985 die Situation: „Im Atelier stellte ich mir in eine Ecke eine Kerze. Das war das ganze Licht, und davor sogar noch eine große Pappe, dass das Licht abgeschirmt war. Die Leinwand, die zum Teil recht groß war, stand in der anderen Ecke. Die Farbe hatte ich mir schon bei Licht zusammengemischt, sie stand in Töpfen und Schüsseln vor der Staffelei, die Pinsel waren darin. Und nun habe ich mich da in diesem Prozeß auf die Leinwand gestürzt, um bei diesem schwachen, schwachen Licht überhaupt diese helle Weißstruktur herauszuarbeiten, die eine gewisse magische Funktion haben sollte.“6

Diese Intention und die expressive, visionäre Bildgestaltung korrespondieren mit einer zweiten Welle des Surrealismus, die sich in Frankreich nach 1945 ausbreitet und sich vorzugsweise dem „Magischen“ zuwendet. Der Kritiker José Pierre betrachtet André Bretons Buch „L´art magique“, das 1957 erscheint, als ein Ergebnis der in den Jahren zuvor stattgefundenen Wandlung von der surrealistischen Bildauffassung hin zu magischen Ausdrucksformen. Die „Tuareg“ – Bilder fügen sich damit in den intentionalen Kontext dieser Kunstströmung, die dem Unerklärlichen und Irrealen Ausdruck gibt. Otto Greis lehnt für sich eine Ausschaltung des Bewusstseins während des Malaktes ab, da er ein in sich fest verwobenes Form-Raumgebilde herausarbeiten möchte. Der malerische Duktus, insbesondere der Bilder von 1955, zeugt jedoch von einer Emotionalität, die sich als bildnerisches Spannungsgefüge niederschlägt. Doch sehr bald wird sich Greis einer gegenständlich-illusionären Wirkung in einigen seiner Arbeiten bewusst.

Der Künstler zerstört deshalb viele Werke aus dieser Zeit und beginnt 1956 mit großformatigen Collagen, die erneut seine konzentrierte Auseinandersetzung mit der Fläche fordern.


1 Doris Schmidt, Gipfel der Sujektivität, Tachisten im Frankfurter Kunstverein, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 24.4.1956, S.6

2 Brief an Dr. Bussmann, La Frette sur Seine, Nov. 1967, zit.n. Kat. Otto Greis, Retrospektive zum 75. Geburtstag, Landesmuseum Mainz 1989, S.8

3 Albert Schulze Vellinghausen, Olympia der Kunst, Zur Dokument II – Kunst nach 1945 in Kassel, in: Frankfurter Allgemeine, 25.7.1959, Nr. 169

4 Otto Greis, o.J., zit. n.: Ulla Siegert, Otto Greis, Bildwirklichkeit und Poesie, (Über Malerei Bd.4), Aachen 2002, S.34

5 Brief vom 15.5.1957, abgedruckt in: Otto Greis, Skizzen, in: Blätter und Bilder, Nr.10, 1960, S.72

6 Fernsehinterview Otto Greis/Isolde Pech, 1985, zit. n. Ursula Geiger, Die Maler der Quadriga und ihre Stellung im Informel, Nürnberg 1987, S.182

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Was ich unter Form in der Malerei verstehe…

„Was ich unter Form in der Malerei verstehe, ist ein Anruf, der, von gewissen Proportionen ausgehend, über das Dargestellte hinausreicht und ein bestimmtes, uns innewohnendes Maßgefühl trifft. Form in dieser Art berührt uns in jeder alten Kunst, wenn auch deren Sujet nicht mehr verständlich oder ohne jede Bedeutung für uns geworden ist.“



(Otto Greis, o.J.)

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Was mich beschäftigt, ist die Malerei in ihrem eigentlichen Sinne.

Was mich beschäftigt, ist die Malerei in ihrem eigentlichen Sinne, ich meine die Erzeugung des farbigen, von innen leuchtenden Kunstraumes, mit den der Malerei immanenten Mitteln, in dem die Poesie ihre Wirklichkeit erlangt. Damit die Poesie sich verwirklichen kann, sind bestimmte Bedingungen erforderlich. Ich rede nur von einer Poesie, die aus den Mitteln der Malerei hervorgeht.

Der Kunstraum ist gebildet aus einer mehrschichtig gestuften Darstellung eines farbigen Ereignisses. Seine Mittel und Teile sind die der Malerei immanenten Mittel. Sie sind immanent, wenn sie aus dem Wesen der Malerei kommen und es entfalten. Allen Mitteln wohnt eine ihnen eigene Gesetzmäßigkeit inne, es geht darum, diese zu erfassen und lebendig zu machen, also jedes Mittel zu seiner höchsten Emmanationsgewalt zu erheben, ohne dabei das Wesen des anderen zu stören. Das klingt wie ein Widerspruch, doch gehört es zum Merkmal des Kunstraumes, dass sich widersprechende Dinge im Hinblick auf eine höhere Einheit zusammenschließen.“



(Otto Greis, aus einem Brief, 1960)

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