Werner Haftmann
Einige Jahre waren ins
Land gegangen, ehe ich im Dezember Otto Greis und seine Bilder
wiedersah. Ich hatte keine Sorge vor dieser Begegnung. Seitdem ich
diesen jetzt 64jährigen Maler vor mehr als 25 Jahren, damals
noch in seinem heimatlichen Frankfurter Umkreis, kennengelernt hatte,
konnte ich auf seine Beharrlichkeit in der Lösung seiner
bildnerischen Fragestellungen vertrauen. Sie bewahrte immer etwas von
der behutsamen, methodischen Folgerichtigkeit des Ingenieurs, als der
er begann, auch dann, wenn sich das Ziel solch überlegsamer
Klarlegung der Ausdrucksmittel und ihrer Anordnung schließlich
als reinster Lyrismus auswies.
Dennoch war ich
neugierig. Aus zwei Gründen: - einmal wollte ich sehen, was aus
einer Malerei geworden war, die zu Beginn der fünfziger Jahre
mit der ersten, breiten Welle des internationalen Informel einsetzte
und dann in einem langsamen Vorgang formaler Zügelung die
ursprünglich spontane Ausdrucksgestik in ein festeres
Ordnungsgefüge einzubringen suchte; - zum anderen interessierte
mich die Wirksamkeit eines bestimmten visuellen Erlebniskreises, den
sich Greis – vorhersehbar oder nicht – ausgesucht hatte.
1957 nämlich war er nach Frankreich übergesiedelt, nachdem
er seit 1951/52 immer wieder nach Paris gereist war. Aber er blieb
nicht in der Stadt. Als ich ihn einige Zeit nach seiner Umsiedlung
wiedersah, hatte er ein kleines, sehr poetisches Haus bezogen,
unmittelbar an der Uferstraße von La Frette, 16 km nordwestlich
von Paris an der Seine gelegen. Vor den Fenstern des kleinen
Malraumes unter dem Dach schlang sich die riesige Schleife des
Flusses, der auf der gegenüberliegenden Seite eine Art Halbinsel
angespült hatte, die ein dichter Baumbestand rahmte. Die ganze
Landschaft war erfüllt von diesem großen Wurf des
Flusstales und seine Atmosphäre aus silberndem Licht. Greis
hatte sich ein kleines Motorboot zusammengespart; vergnüglich
fuhren wir durch ganze Vorhänge von Licht vor der straffen
Kulisse des waldigen Ufers, bis die abendlichen Nebelschimmer das
schöne Schauspiel im sanften Grau ersterben ließen.
Immer noch wohnte Greis
am gleichen Flusshang von La Frette, jetzt im neuen Atelierhaus und
auch ein wenig höher am Hang mit weitem Blick auf die
Sensationen der großen Stromschleife. Auch das kleine Boot ist
durch ein stattlicheres ersetzt, und der Jagdgrund für visuelle
Abendteuer ist nicht mehr allein die Seine, sondern vor allem das
gleißend-große Meer vor der Ostküste Spaniens und um
die Inselwelt der Balearen. Seit Jahren hält er sich dort den
ganzen langen, mediterranen Sommer hindurch auf seinem Malboot auf.
Er weiß schön davon zu erzählen – mit dem
geheimen Stolz des Ingenieurs auf Navigationsgeräte, Motoren und
Segel und mit der Ergriffenheit des Malers, der in dieser großen
Natur oftmals Entsprechungen zu seinen formalen Unternehmungen (- die
ihm freilich nur den Seitenblick auf diese Natur erlauben -) als
Bestätigung erkennt.
Um die Sache mit La
Frette recht zu begreifen, muß man etwas von dessen
kunstgeschichtlicher Ortung wissen. Es war nämlich im gleichen
Seinebogen zwischen Argenteuil und La Frette, wo die Impressionisten
einiges von der entmaterialisierten, a-perspektivischen – sagen
wir - >>halluzinatorischen<< Bedeutung des Naturlichts
erfuhren: die Wandlung nämlich vom Beleuchtungslicht zum
Bedeutungslicht, die dem natürlichen Licht nicht alleine eine
gewisse darstellerische Selbständigkeit zuerkannte sondern es
auch bereits als Konstruktionselement innerhalb der formalen
Bildorganisation zu verstehen begann. Hier nämlich trieb Claude
Monet auf seinem Hausboot herum und entdeckte die vergleichsweise
>>phantasmagorische<< Qualität, die das Naturlicht
auch haben konnte. Hier fand Renoir in seinen Bildern von der
>>Grenouillère<<, einem beliebten Ausflugslokal
der Seine-Ruderer, eine eigentümliche, durch die Fülle der
Lichtreflexe verursachte Verschränkung der Pläne, die die
perspektivische Abfolge von Vordergrund – Mittelgrund –
Hintergrund verstörte und einem mehr a-perspektivischen, vom
Farblicht bewegten Flächenraum nahe legte. In La Frette selbst
hatte Marquet Jahre seines Lebens verbracht und aus dessen Stimmung
die ruhige, im lichten Grau gebrochene Flächigkeit seiner
nach-fauvistischen Bilder abgehoben. Man kann sagen, dass durch diese
bestimmten Momente optischer Erfahrungen der Impressionismus sich auf
Cézanne zuzubewegen begann. Nur richtete sich Cézannes
Aufmerksamkeit verstärkt auf die selbständige Organisation
des Bildleibes, die die Hinweise der Natur als Bauelement eines in
sich abgeschlossenen formalen Organismus nutzte, zum Aufbau eines
kristallinen Gitters, aus dem der in der Natur verborgene harmonikale
Hintergrund als Antwort des menschlichen Geistes auf die Sensationen
der Natur zurück reflektierte – jene von Cézanne
gesuchte >>Harmonie parallel zur Natur<<.
Werfen wir jetzt einen
Blick auf die Bilder aus dem Greis´schen Atelier von La Frette,
so werden wir sogleich die Nähe zu den Veranstaltungen des
Lichts über dem Silberband des bewegten Stromes bemerken, so wie
auch eine nachklingende Affinität zu den Lichtapotheosen der
genannten Meister, insbesondere zum späten Monet. Zugleich, aber
auch eine kristallinische Organisation der Formen, ein welliges, die
Oberfläche buchtendes und immer wieder zur Fläche
zurückkehrendes Vor und Zurück der Massen und Pläne,
eine aus der farbigen Fläche entstehende, vom Naturlicht
unabhängige, selbständige Führung des Lichts, die
wiederum die Erinnerung an Cézanne auslöst.
Schon um 1960, bald
nach dem Einzug ins Haus von La Frette, konnte man diese Verfestigung
bemerken, wobei besonders das Licht seinen huschenden, unbestimmten
Charakter verlor und sich zu transparenten Strukturen zusammenschloß,
deren Leitform das Strahlenbündel wurde. Das lag auf der Linie
jenes >>Festmachens der Atmosphäre<<, von der die
Futuristen und Delaunay gern gesprochen hatten und die Cézanne
schon vorgezeigt hatte. Das Licht verlor seinen naturalistischen
Auftrag als Beleuchtung. Es wurde zum reinen Bildinnenlicht und damit
zu einem selbständigen Element der Konstruktion, des Dekors und
des Ausdrucks. Um seinen Transparenzen das unbestimmte Atmosphärische
zu nehmen, das die Ölfarbe mit ihren Lasuren gerne nahe legt,
erfand sich Greis ein eigenes Malmittel aus Kunstharz und Kasein, das
der Oberfläche einen gewissen Fresko-Charakter gab, der sie zwar
fest, trocken und mauerartig machte, aber die Transparenz nicht
verhinderte. Die Farbe, die für den Maler das vorwiegende
Äquivalent des Lichts ist, hielt sich in der Vorliebe für
Grau, Grün, Blau gern auf der kühlen Skala. Dieser
Farbklang schien der Farbstimmung über der Seine-Schleife zu
entsprechen. Er veränderte sich gegen 1970. Jetzt bewegte er
sich mehr auf der warmen Skala: lichter Ocker, Rotviolett, ein golden
einbrechendes Gelb. Man möchte meinen, dass ein mediterraner
Klang in die neueren Bilder geraten sei. Da läge es nahe, an die
jährlich sich wiederholenden, monatelangen Segeltörns des
Malers im spanischen Meer zu erinnern, deren Sensationen ins Bild
hineinschienen. Gindertael, der französische Kritiker, hat sein
schönes Vorwort zu einer Greis-Ausstellung von 1974 in der
Pariser Galerie Roque mit dem Titel überschrieben >>Entre
le ciel et l´eau ... la lumière<< und in diesem
Text seine Gedanken bei der Betrachtung der Bilder gut und knapp
zusammengefasst: aus dem Erlebnis von Himmel und See die antwortende
Apotheose des Lichts.
Doch hier ist zugleich
ein Vorbehalt anzumelden. Tatsächlich geht Greis nie von einem
bestimmten landschaftlichen oder marinen Motiv aus. Er hat niemals
auch nur den Versuch gemacht, irgendeine dieser aufleuchtenden
Schönheiten der mediterranen Welt bildhaft zu reproduzieren.
Auch die bewegten, scheinbar atmosphärischen Erscheinungen in
seinen Bildern gehen nie auf ein einzelnes, bestimmtes optisches
Erlebnis zurück. Vergleicht man seine Bilder mit denen Turners,
der nun wirklich aus Himmel und See das Drama des Lichts entfaltet,
so gewahrt man sehr deutlich, dass Greis mit einer gewissen
Sprödigkeit alle dramatisch expressiven Elemente zurückdrängt.
Sein Element ist das Lyrische, das sich in diesem sanften Versmaß
bewegt – ja, sich in diesem Versmaß erst entwickelt. Sein
Bild entsteht im Machen. Es hält auch immer eine genaue
Verbindung zum Bild, das vorher entstanden war. Es ist als
abgeschlossenes Gebilde da, bewahrt aber den Prozeß seines
Entstehens und zeigt das künstlerische Kontinuum, in dem es
seine Wurzeln hat. Das alte Wissen, dass Kunst aus Kunst – und
weniger aus >>Natur<< - entsteht, teilt auch Greis. Er
gehört keineswegs in die Linie von Bazaine oder Le Moal –
obwohl er sich ei seinen Pariser Aufenthalten mit ihnen bekannt
machte -, die das Bild als ins Abstrakte gespiegelte Analogie zum
Naturerleben ansahen. Er sieht es vielmehr als ein Ergebnis eines
Impulses von innen von großer Spontaneität, der seinen
Ursprung eher in der Reihe der vorangegangenen Bilder findet als in
einer vorerlebten Sensation. Natürlich kann ein Maler, dessen
ganzes Sensorium auf das Schauen ausgerichtet ist, nicht absehen von
dem, was das Auge täglich in ihn einträgt. Nur in dieser
Weise sind die vermuteten Angleichungen an jenen >>visuellen
Erlebniskreis<< zu verstehen: als ein ins Unbewusste
abgesunkenes Bildgut, als ein die Regungen im Menschen
durchtränkendes Fluidum, das auf der Leiter des bildnerischen
Versmaßes – sozusagen unvermutet – mit nach oben
steigt und sich in die Bildfläche einschiebt. Die Entstehung des
Bildes, sein auslösender Impuls, hat also durchaus etwas mit dem
Automatismus zu tun, doch wird dieser gesteuert durch das Versmaß
der geordneten Form, das sich von Bild zu Bild entwickelt. Um diesen
komplizierten Vorgang anschaulich zu machen, ist es notwendig, die
Entwicklung dieses Malers zu betrachten.
Greis, der nach dem
Kriege sich ausschließlich der Malerei widmen konnte, fand in
E.W. Nay, der sich nach dem Krieg, damals 45 Jahre alt, in Hofheim im
Taunus niedergelassen hatte, einen wichtigen Freund. Diese Begegnung
war eine gute Lehrzeit für Greis. Erst als Nay – 1949 –
angeregt durch die Malerei von Juan Gris, den Bildraum in harte
Flächigkeit verspannte und die Form härtete, entzog sich
Greis seiner Gefolgschaft.
Fortab malte Greis für
sich. Es war die Zeit seines entscheidenden Umbruchs, auf dessen
Ergebnissen seine ganze Malerei aufbauen sollte. Die ersten
Ergebnisse waren in der Einzelausstellung im Mai 1952 in der
Frankfurter Zimmergalerie zu sehen und dann noch im Dezember 1952 in
einer Sammelausstellung von vier jüngeren Malereien: Götz,
Kreutz, Schultze. Ursprünglich wollten sie sich
>>Neu-Expressionisten<< nennen; erst während der
Ausstellung stellte sich der Name >>Quadriga<< ein. Die
Bezeichnung >>Neu-Expressionisten<< traf ungefähr
den Sachverhalt, sofern man annehmen wollte, dass dieses >>Neu<<
darauf hinweisen sollte, dass sich diese Maler auf dem Felde des
Abstrakten bewegten. Tatsächlich waren ihre Bilder von einem
starken expressiven Pathos erfüllt. Auch die von Greis zeigten
diese Spontaneität im Malakt, jene psychische Selbstentäußerung
durch eine enthemmte aggressive Gestik, in der dunkle Bogenschwünge
auf wabernden Gründen unbestimmte Figurationen entstehen ließen,
deren Bedeutung sich zwar punktuell nicht ausmachen ließ, die
dennoch eine starke suggestive Kraft hatte im Sinne von Psychogrammen
eines tief beunruhigten Gemütszustandes. Nachträglich
gesehen, bemerkte man freilich, dass die Lichtphänomene bei
Greis eine größere Rolle spielten, als bei anderen Malern
der Gruppe, dass Sternfelder, aufglühende novae, spritzende
Lichtfontänen die Ausdrucksfunktion des graphischen Strich- und
Balkenwerkes überspielten. Auch die Farbe war leuchtender und
blühender und fügte der dramatischen Geste ein lyrisches
Element hinzu. Die Bilder trugen Titel, wie >>Herz der
Steinblume<<, >>Hexe<<, oder – ein wenig
später - >>Ikarus<<. Sie trugen wenig zur Sache bei;
sie waren nur Wortmetaphern, wie sie auch Nay verwandte, der gern
ganz abstrakte Kompositionen mit mythologischen Namen schmückte.
Aufzeichnungen aus der psychischen Schicht suchten sie mit gestischen
Spuren, dick gemauerter Farbmaterie und spritzendem Flechtwerk der
Farbe eher jenen Ahnungen nachzusinnen, die uns beim Betrachten
schrundiger Mauern, glimmender Asche oder auch beim Blick auf Wolken
oder ins Sternenzelt überkommen und die durch >>Künstlichkeit<<
der Herstellung in dieser oder jener Richtung bildhaft kanalisiert
werden können. Diese Assoziationen setzen uns auf die Spur,
woher der Anstoß kam. Er kam aus Paris und hatte internationale
Breite. Dort hatte sich in den Jahren zwischen 1945 und 1950, neben
allerlei Richtungen des Spätkubismus und eines abstrahierenden
Naturlyrismus, eine vergleichbare Malweise durchgesetzt mit Dubuffet,
Fautrier, Michaux und Wols, die René Drouin in seiner
prächtigen Galerie am Place Vendôme schon gleich nach dem
Krieg gezeigt hatte. Die Galerie Allendy fügte bald Hans Hartung
und Georg Mathieu hinzu. Die Stilbezeichnung, die die begleitende
Kritik aufbrachte, hießen: >>Art informel<<,
>>Abstraction lyrique<< oder noch allgemeiner >>Art
autre oder gar >>Tachisme<<. In den USA hatte sich
gleichzeitig – mit Pollock, Tobey, Motherwell u.a. – eine
ähnliche Erscheinung gezeigt. Mathieu hatte die Verbindung
hergestellt und in der von ihm betreuten Ausstellung >>Vehemences
cofrontées<< die Ähnlichkeit der beiden Bewegungen
anschaulich gemacht. So gerieten jetzt auch die Stilbezeichnungen der
amerikanischen Kritiker - >>Abstract Expressionism<< oder
>>Action Painting<< - ins europäische Spiel. Es ist
hier nicht der Ort über ihre Berechtigung zu streiten. Nimmt man
alle zusammen, so ergeben sie in
wechselseitiger
Erhellung ein gewisses Bild dieser neuen Richtung. An ihr fand auch
Greis, der bei seinen ersten Reisen nach Paris auch René
Drouin, den frühesten Pariser Promoter der ganzen Richtung,
kennengelernt hatte, seinen Anstoß. Als Drouin im Frühjahr
1955 im Pariser >>Cercle Volney<< die sehr beachtete
Ausstellung >>Nichtfigurative Malerei in Deutschland<<
einrichtete, war selbstverständlich auch Greis vertreten, wie er
auch in den Ausstellungen der Kunsthallen in Wiesbaden und Mannheim
1957, die der >>informellen<< Richtung galten, seinen
Platz hatte.
Doch hatten wir schon
bemerkt, wie sich in diesem allgemeinen Stilbild bestimmte
Besonderheiten der Greis´schen Auffassung durchsetzten. Sie
verstärkten sich zunehmend und führten ihn bald aus diesem
Gruppenstil hinaus. Machte ihn dieser allmähliche Rückzug
aus der Kameraderie seiner deutschen Malerfreunde auch einsamer (und
ließ ihn die Ausstellungspolitik der Maler und Kritiker ihn
dies auch merken), so entsprach diese Absetzbewegung doch seiner
persönlichen Haltung, die eher zurückhaltend,
selbstbezogen, introvertiert ist. Sie half ihm auf den eigenen Weg.
Schon 1954 setzt eine
Serie von schmalformatigen Malereien auf Japanpapier, die die
dickhäutige Materie durch einen durchsichtigen, lichthaltigen,
kostbaren Farbgrund ersetzte, auf dem ein improvisierender heller
Strich Figurationen entwarf, die wie helle Sternenbilder eines
erfundenen Zodiakus aussahen. Sie leiteten über zu einem
Bilderkreis, der 1956 begann und den Greis – aus welchen
Gründen auch immer – die >>Tuareg-Serie<<
nannte. Es sind festgefügte, meist dunkelgründige Ensembles
von massigen Formen, die den dämmernden Grund in einer
strafferen Planordnung bestimmen und durch Strahlenbündel
bewegen. Manchmal – wie im >>Orakel<< von 1956 –
scheint aus dem magisch durchleuchtenden Grund eine exotische
Formenwelt hervorzusehen, die den merkwürdigen Titel der Serie
begründen könnte. Greis ist noch heute ein eifriger
Besucher des >>Musée de l´homme<<, der
aufregendsten Völkerkundlichen Sammlung der Welt; von daher mag
ihm die Inspiration zu manchem dieser Bilder gekommen sein.
1958, Greis war
inzwischen endgültig nach Paris übergesiedelt, beginnt
wieder eine Art Zwischenspiel – diesmal ist es eine lange Reihe
von Aquarellen auf Japanpapier. Sie sind ganz gelöst und lassen
die dumpfen Evokationen der Materie endgültig hinter sich. Auf
lichtem Grund in duftiger, dünnbesetzter Farbe entfaltet sich
über dem rhythmischen Takt von Kreisformen ein tänzerisches
Spiel, das die Gestik der malenden Hand in die Metrik des
Formensatzes leicht und selbstverständlich hineinnimmt. Auch die
inhaltliche Stimmung zeigt diese Gelöstheit. Die Blätter
lassen an Fruchtzweige denken, an die glücklichen Metamorphosen
des fruchtbringenden Sommers. Hier ansetzend, beginnt um 1960 –
und schon im kleinen Haus am Uferrand von La Frette – jene
erste Reihe von Bildern, die wir eingangs zu beschreiben versuchten
und die einen entschlossenen Schritt aus dem geistig zu eng
gewordenen Umkreis des >>Informel<< bedeuten. Die Bilder
werden ganz licht. Ihr weißer Grund gibt das Spielfeld, auf dem
dünnflüssige, gedämpfte Farbpassagen im leichten Atmen
der Fläche dem Auge Wege einrichten, die durch das empfindliche
Gleichgewicht der Farbwerte einem fließenden rhythmischen
Muster folgen. Manchmal verstärken Punktkonstellationen den
rhythmischen Satz; manchmal sinkt dieser ganz ins Weiß zurück
und wird nur im atmenden Auf und Ab der Fläche anwesend. Die
Titel - >>Schleier des Pan<<, >>Mirage<<,
>>Des Ailes<<, >>Naissance Nacrée<< -
bezeichnen metaphorisch recht gut den inhaltlichen Stimmungsrausch
dieser Bilder.
Unmittelbar aus dieser
Reihe, hervorgehoben in kleinen Entwicklungsschritten, entsteht dann
1962 >>La Clairière<<, >>Die Lichtung<<.
Hier wird der Formsatz kräftiger und auch die ondulierende,
schmiegsam-schwingende Fläche bindet sich in eine festere
Planordnung ein. Jetzt taucht die Erinnerung an Cézanne
kräftig auf. Sie bezieht sich nicht auf irgendetwas Punktuelles,
sie bezieht sich auf den Kern der Anschauung Cézannes, dass
zur Veranschaulichung einer im menschlichen Erlebniskreis empfundenen
Harmonie ein strenger metrischer Satz, ein bildnerisches Versmaß
notwendig sei. Hatte aber Cézanne aus seiner geschichtlichen
Lage in unmittelbarer Auseinandersetzung mit dem gegenständlichen
>>Motiv<< den harmonikalen Hintergrund der Natur
herauszuzeichnen versucht, so verschiebt sich – 60 Jahre später
– für den Jüngeren das motivische Problem ins
Abstrakte. Es heißt jetzt : für das harmonikale Erlebnis
des Lichts selbst – und nicht für seine Brechungen an den
Gegenständen – anschauliche, bildnerische Entsprechungen
zu finden. Das formale Problem ändert sich deshalb nicht, es
bezog sich immer noch auf die Ausarbeitung einer Metrik, auf deren
rhythmischen Stufen der Wahrheitsfindung von der Anwesenheit des
Harmonikalen als Bild Anschaulichkeit gewinnen konnte.
So sehen wir, wie Greis
in den folgenden Jahren – und bis heute hin – diese
Metrik verstärkt und modifiziert, wie er anfänglich die
weiche Modulation der Fläche durch kubische Prismenformen
kräftig gliedert, dann die Prismen zu kristallinen Massen
zusammentreten lässt, schließlich die Figurationen wieder
auf die Fläche zusammenzieht und endlich ein räumliches,
die Fläche durchatmendes Fluidum erreicht, in dem Farb- und
Lichtbahnen die Körperlichkeit der Kristalle ersetzen. Jetzt ist
das Bild selbst Kristall, von dessen Grund das Erlebnis des Lichts
als harmonikaler Erscheinung verwandelt zurückleuchtet. Das Ziel
ist – für die stets wechselnden Veranstaltungen des
Helios, die die abertausenden Schauspiele des Wechsels vom Morgen zum
Abend hervorrufen, für all die Erhellungen des Lichts eine
dichterische Erhellung – das bildnerische Gleichnis – zu
finden.
Kehren wir zu unserem
Ausgangspunkt zurück, so sollte jetzt deutlich sein, dass sich
diese ganze Entwicklung nahezu ausschließlich auf der
bildnerischen und formalen Ebene vollzog in der schrittweisen
Ausbildung einer bildnerischen Vorstellung, die sich dann im
bildnerischen Tun eine Metrik erfand und zurechtlegte. Wenn dennoch
benennbare optische Erlebnisse an der Natur in diese metrischen
selbständigen Gebilde einzufließen schienen, so mag sich
dies aus der innigen Durchdringung der menschlichen Vorstellungskraft
mit den Tatsachen der Natur erklären, die, einmal aufgerufen,
auch die abgesunkenen Erinnerungen ins Anschauliche hebt. Doch
Ausgang oder Ziel waren diese nicht; sie kehrten auch ganz verwandelt
wieder zurück.
Greis ist keiner von
jenen stürmischen Geistern, die ihren Überschwang in alle
Winde werfen und in der Geschichte dionysische Spuren hinterlassen.
Er ist ein bedachtsam arbeitender Mann, der das ihm zugewiesene Thema
beharrlich zu erfüllen trachtet ohne Blick auf zeitgenössische
Präsenz, auf Ruhm und Genie. Sein Thema heißt: Die
Hemmungslosigkeit des Lichts in Form fassen und durch bildnerische
Metrik seine Strahlkraft so zu verlängern, dass sie bis in
unsere psychische Schicht herüberreicht, damit dann auch die
beunruhigende, riesige Atemlosigkeit des Himmels in uns rhythmischen
Atem gewinnt. Der schöne Titel Gindertaels >>Entre le ciel
et l´eau … la lumière<< kann sehr wohl als
Motto über diesen Bildern stehen bleiben. Warum sollten wir uns
nicht frei fühlen, in diesen Bildern den optischen und
dichterischen Erlebnissen des seefahrenden Malers nachzuspüren?
– Auch wenn es nur darum ginge, durch die schweigsame Hermetik
dieser Bilder hindurch eine nähere Vertraulichkeit zu ihnen zu
gewinnen.
Zitiert
nach: Ausstellungskatalog: Otto Greis – Die Feier des Lichts,
Kunsthalle Bremen/Staatliche Kunstsammlungen Kassel 1978, o. Pag.
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